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HHhH

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Titel: HHhH Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Binet Laurent
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heraus ihre Heimaterde.»
    So beginnt Alan Burgess’ Roman Sieben Mann im Morgengrauen aus dem Jahr 1960. Und schon nach den ersten Zeilen weiß ich, dass das nicht das Buch ist, das ich schreiben möchte. Ich weiß nicht, ob Gabčik und Kubiš etwas von ihrer Heimaterde erkennen konnten – aus siebenhundert Metern Höhe, in einer schwarzen Dezembernacht 1941. Und was die sargförmige Luke angeht, möchte ich derart schwülstige Metaphern gerne vermeiden.
    «In Gedanken versunken überprüften sie den Mechanismus, die Gurte und die Reißleinen ihrer Fallschirmspringerausrüstung. In wenigen Minuten würden sie in die Dunkelheit abtauchen, wohl wissend, dass sie die ersten Fallschirmspringer sind, die über der Tschechoslowakei abspringen, und dass ihre Mission eine absolute Ausnahme bildet und zu den riskantesten gehört, die jemals ersonnen wurden.»
    Ich weiß alles, was es über diesen Flug zu wissen gibt. Ich weiß, was Gabčik und Kubiš als Gepäck dabeihatten: ein Klappmesser, eine Pistole mit zwei Magazinen und zwölf Patronen, eine Zyankali-Kapsel, ein Stück Schokolade, Brühwürfel, Rasierklingen, einen gefälschten Personalausweis und tschechische Kronen. Ich weiß, dass sie Zivilkleidung trugen, die in der Tschechoslowakei hergestellt worden war. Ich weiß, dass sie während des Flugs weisungsgemäß nicht miteinander sprachen; ihren Fallschirmspringerkameraden warfen sie lediglich «Hallo» und «Viel Glück» zu. Ich weiß, dass die anderen Fallschirmspringer ahnten, dass Gabčik und Kubiš in ihr Land geschickt wurden, um Heydrich zu töten, obwohl ihre Mission streng geheim war. Ich weiß, dass Gabčik während des Flugs den besten Eindruck beim dispatcher hinterließ, dem Offizier, der für die Überwachung des reibungslosen Ablaufs des Absprungs verantwortlich war. Ich weiß, dass man sie alle vor dem Abflug in Windeseile ein Testament aufsetzen ließ. Selbstverständlich kenne ich die Namen der Mitglieder der beiden anderen Gruppen, die sie begleiteten, und weiß, worin ihre jeweilige Mission bestand. Sieben Fallschirmspringer waren in dem Flugzeug, und ich kenne ihre jeweilige falsche Identität. Gabčik und Kubiš nannten sich beispielsweise Zdenĕk Vyskočil beziehungsweise Ota Navrátil, in ihren gefälschten Papieren wurden die Berufe Schlosser und Arbeiter angegeben. Ich weiß so gut wie alles, was man über diesen Flug wissen kann, und ich weigere mich, Sätze zu schreiben wie: «In Gedanken versunken überprüften sie den Mechanismus, die Gurte und die Reißleinen ihrer Fallschirmspringerausrüstung.» Auch wenn sie das zweifellos getan haben.
    «Der größere von beiden war siebenundzwanzig Jahre alt und maß etwa einen Meter fünfundsiebzig. Er hatte blonde Haare, und seine ausdrucksvollen grauen Augen mit den schön geschwungenen Wimpern blickten entschlossen in die Welt. Der volle, wohlgeformte Mund» etc. Dabei belasse ich es. Es ist bedauerlich, dass Burgess seine Zeit mit derartigen Klischees verschwendete, denn ansonsten war er unbestreitbar gut informiert. Ich habe allerdings zwei gravierende Fehler in seinem Buch entdeckt; Heydrichs Frau Lina nennt er Inga, und dessen Mercedes beschreibt er immer wieder als grün anstatt schwarz. Außerdem konnte ich einige zweifelhafte Episoden ausfindig machen, von denen ich vermute, dass sie Burgess’ Phantasie entstammen. Zum Beispiel die düstere Geschichte über die mit einem Brandeisen auf den Hintern tätowierten Hakenkreuze. Doch ich konnte daraus auch viele Informationen darüber gewinnen, wie sich Gabčiks und Kubiš’ Leben in Prag in den Monaten vor dem Attentat abgespielt hatte. Man muss dazu sagen, dass Burgess mir gegenüber einen Vorteil besaß: Zwanzig Jahre nach den Ereignissen konnte er sich noch mit Zeitzeugen treffen. Einige hatten tatsächlich überlebt.

147
    Um es kurz zu machen: Schließlich sind sie abgesprungen.

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    Laut Édouard Husson, einem angesehenen Akademiker, der momentan an einer Biographie über Heydrich arbeitet, lief von Anfang an alles schief.
    Zunächst landen Gabčik und Kubiš sehr weit weg vom vorgesehenen Gebiet. Sie sollten eigentlich bei Pilsen aufsetzen, stattdessen befinden sie sich nur wenige Kilometer entfernt von … Prag. Nun ja, werden Sie sagen, immerhin ist dort ihre Zielperson, somit haben sie doch Zeit gewonnen. Anhand solcher Gedankengänge sieht man deutlich, dass Sie nicht die geringste Ahnung vom Leben im Untergrund haben. Gabčik und Kubiš werden von ihren Kontaktpersonen

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