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alle Anwesenden stets den höchsten Respekt zollen. Ich betrachte ein Foto von ihnen, das während eines Konzerts im Prager Rudolfinum zu Ehren von Mozart entstand. Herausgeputzt, die Haare frisch frisiert, geschminkt und angetan mit Ringen, Armreifen und langen Ohrringen, steht sie im Abendkleid an der Seite ihres Gatten, um den sich feierlich dreinblickende Männer im Smoking scharen. Ihr Gesichtsausdruck zeugt von heller Begeisterung, während sie mit züchtig übereinandergelegten Händen aufrecht dasteht.
Doch es ist nicht Prag allein. Die Position ihres Mannes ermöglicht ihr nun, sich in den höheren gesellschaftlichen Kreisen des Reiches zu bewegen. Himmler zeigt sich ihr gegenüber schon lange freundschaftlich, doch jetzt kennt sie außerdem die Familien Goebbels und Speer, und ihr wurde sogar die große Ehre zuteil, den Führer selbst kennenzulernen. Als er sie Arm in Arm mit ihrem Mann erblickte, kommentierte er: «Welch schönes Paar!» Spätestens seit diesem Zeitpunkt gehört sie zur Crème de la Crème der Gesellschaft.
Obendrein hat sie ihr eigenes Schloss: Es wurde einem Juden enteignet und liegt zwanzig Kilometer nördlich von Prag. Umgeben wird es von einem riesigen Grundstück, das sie voller Eifer herrichten lässt. Von der Prinzessin wird sie zur Schlossherrin. Doch wie schon Dornröschen ist auch sie boshaft. Sie fährt ihr Personal grob an, beleidigt jeden, wenn sie schlecht gelaunt ist, und spricht mit niemandem, wenn sie gut gelaunt ist. Um die großangelegten Arbeiten auf ihrem Prinzessinnen-Anwesen ausführen zu lassen, beschäftigt sie eine große Zahl Handwerker, die sie aus den Konzentrationslagern anreisen lässt und beinahe so schlecht behandelt, wie sie dort behandelt werden. Sie überwacht die Arbeiten im Amazonen-Gewand und mit einer Reitgerte in der Hand. In ihrem Regiment mischen sich Terror und Sadismus mit einer Spur von Erotik.
Ansonsten kümmert sie sich um ihre drei Kinder und ist hocherfreut, welche Zuneigung Reinhard den Kindern gegenüber an den Tag legt. Besonders seine jüngste Tochter, Silke, vergöttert er. Er macht seiner Frau ein viertes Kind. Vorbei auch die Zeit, als sie mit Schellenberg schlief, seiner rechten Hand. Vorbei die Zeit seiner ständigen Abwesenheit. In Prag kehrt er abends fast immer heim. Er schläft mit ihr, geht reiten und spielt mit den Kindern.
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Gabčik und Kubiš werden gleich in die Halifax steigen, die sie in ihre Heimat bringen wird. Doch zuvor gibt es gewisse Formalitäten zu erledigen. Hinter seinem Schalter gibt ihnen ein englischer Unteroffizier die Anweisung, sich auszuziehen. Ganz gleich, wo sie landen werden, es komme nicht in Frage, dass sie im Aufzug eines englischen Fallschirmspringers durch die tschechische Landschaft laufen. Also entledigen sie sich ihrer Uniformen. «Vollständig ausziehen», fügt der Unteroffizier hinzu, als sie in Unterhosen vor ihm stehen. Diszipliniert, wie sie sind, folgen die beiden Männer der Aufforderung. Splitternackt stehen sie da, während eine Auswahl von Kleidungsstücken vor ihnen ausgebreitet wird. Ohne seine zugleich britische und militärische Nüchternheit abzulegen, bewirbt der Unteroffizier die Artikel wie ein Harrods-Verkäufer, kommentiert stolz die Produkte, die er ihnen vorführt. «Anzüge hergestellt in der Tschechoslowakei. Hemden hergestellt in der Tschechoslowakei. Unterwäsche hergestellt in der Tschechoslowakei. Schuhe hergestellt in der Tschechoslowakei. Schauen Sie einmal, welche Größe Ihnen passt. Krawatten hergestellt in der Tschechoslowakei. Suchen Sie sich eine Farbe aus. Zigaretten hergestellt in der Tschechoslowakei. Mehrere Marken stehen zur Auswahl. Streichhölzer hergestellt in … Zahnpasta hergestellt in …»
Als sie fertig eingekleidet sind, händigt man ihnen falsche Papiere aus, die pflichtgemäß gestempelt wurden.
Die beiden Männer sind bereit. Oberst Moravec erwartet sie am Einstieg der Halifax, deren Motoren bereits laufen. Fünf weitere Fallschirmspringer werden in derselben Maschine mitfliegen, doch sie haben andere Ziele und Missionen. Moravec reicht Kubiš die Hand und wünscht ihm viel Glück. Doch als er sich Gabčik zuwendet, bittet dieser ihn um ein kurzes Gespräch unter vier Augen. Moravec stöhnt innerlich auf. Er befürchtet einen Rückzieher in letzter Minute und bedauert mit einem Mal, was er zu den beiden jungen Männern sagte, als er sie für die Mission auswählte: dass sie ihm offen und ehrlich sagen sollten, wenn sie sich der
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