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des inneren Widerstands in Pilsen erwartet. In Prag haben sie keinen einzigen Anlaufpunkt. Ihre Anweisungen sollen sie von den Leuten aus Pilsen erhalten. Sie sind also ganz in der Nähe von Prag, wo sie auch hinmüssen, aber zuvor müssen sie nach Pilsen. Genau wie Ihnen ist auch ihnen bewusst, welchen absurden Umweg sie damit auf sich nehmen. Trotzdem ist er notwendig.
Es wird ihnen erst bewusst werden, sobald sie erfahren, wo sie sich befinden, denn momentan haben sie noch nicht die leiseste Ahnung, wo das ist. Sie sind auf einem Friedhof. Sie wissen nicht, wo sie ihre Fallschirme verstecken sollen, und Gabčik humpelt, weil er sich beim Aufsetzen auf die heimatliche Erde einen Zeh gebrochen hat. Sie marschieren, ohne zu wissen, wohin, und hinterlassen Spuren. Hastig verstecken sie ihre Fallschirme unter einem Schneehaufen. Sie wissen, dass der Tag bald hereinbricht, dass sie Gefahr laufen, entdeckt zu werden, und dass sie sich irgendwo verstecken müssen.
In einem Steinbruch finden sie Unterschlupf in einer Höhle. Dort sind sie sicher vor Schnee und Kälte, aber nicht vor der Gestapo. Sie wissen, dass sie dort nicht bleiben können, wissen aber nicht, wohin sie gehen sollen. Sie sind Fremde im eigenen Land, verloren, verletzt, werden sicherlich schon von denjenigen gesucht, die das Motorengeräusch des Flugzeugs am Himmel gehört haben, das sie hergebracht hat. Sie beschließen abzuwarten, was bleibt ihnen auch anderes übrig? Worauf hoffen sie, während sie die Landkarte studieren? Darauf, die Lage des winzigen Steinbruchs ausfindig zu machen? Ihre Mission droht zu scheitern, kaum dass sie begonnen hat, oder aber gar nicht erst stattzufinden, wenn niemand sie entdeckt, was allerdings eine lächerliche Annahme ist.
Und tatsächlich werden sie entdeckt.
Ein Wildhüter findet sie am frühen Morgen. Er hat in der Nacht das Flugzeug gehört, die Fallschirme im Schnee gefunden und ihre Spuren im Schnee verfolgt. Er steht am Höhleneingang und ruft ihnen hüstelnd zu: «Morgen, Jungs!»
Laut Édouard Husson lief von Anfang an alles schief, doch auch das Glück war den beiden hold. Der Wildhüter weiß, dass er sein Leben riskiert, doch er ist ein mutiger Mann und wird ihnen helfen.
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Der Wildhüter bildet das erste Glied einer langen Kette des Widerstands, die unsere beiden Helden bis nach Prag führen wird, in die Wohnung der Familie Moravec.
Sie besteht aus Vater, Mutter und dem jüngeren Sohn Ata, der ältere arbeitet in England als Pilot einer Spitfire. Sie sind Namensvettern von Oberst Moravec, es besteht keine verwandtschaftliche Verbindung, aber genau wie er kämpfen sie gegen die deutsche Okkupation.
Und damit sind sie nicht allein. Gabčik und Kubiš werden viele dieser kleinen Leute kennenlernen, die bereit sind, ihr Leben zu riskieren, um ihnen zu helfen.
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Diese Schlacht ist von vornherein verloren. Ich kann die Geschichte nicht zu dem machen, was sie eigentlich sein sollte. Das ganze Durcheinander aus Personen, Ereignissen, Daten und endlosen Verzweigungen der Zusammenhänge von Ursache und Wirkung, diese Menschen, diese wahrhaftigen Menschen, die tatsächlich existierten, ihr Leben, ihre Taten und Gedanken, die ich nur im Ansatz streife … ständig pralle ich gegen die Mauern der Geschichte, an denen sich der entmutigende Efeu der Kausalität unablässig emporwindet und verdichtet.
Ich betrachte eine Karte von Prag, auf der die Wohnungen aller Familien eingezeichnet sind, die den Fallschirmspringern halfen und sie beherbergten. Für dieses Engagement bezahlten sie fast alle mit dem Leben. Männer, aber natürlich auch Frauen und Kinder. Die Familie Svatoš, nur einen Katzensprung von der Karlsbrücke entfernt; die Familie Ogoun in der Nähe der Burg; die Familien Novák, Moravec, Zelenka und Fafek weiter östlich. Jedes einzelne Familienmitglied verdiente sein eigenes Buch, einen Bericht über sein Engagement im Widerstand bis hin zum tragischen Ende in Mauthausen. Wie viele vergessene Helden ruhen auf dem großen Friedhof der Geschichte … Tausende, Millionen Fafeks, Moravecs, Nováks und Zelenkas …
Die Verstorbenen sind verstorben, und es ist ihnen ganz gleich, ob man ihre Verdienste würdigt. Doch uns Lebenden bedeutet es etwas. Das Gedenken nützt denjenigen, derer gedacht wird, nichts; es nützt demjenigen, der ihrer gedenkt. Darauf baue ich, damit tröste ich mich.
Niemand, der diese Namensliste liest, würde sie aufbewahren. Warum auch? Damit etwas ins allgemeine
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