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HHhH

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Titel: HHhH Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Binet Laurent
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Aufgabe, die ihnen zugedacht wurde, nicht gewachsen fühlen. Er fügte hinzu, es sei keine Schande, seine Meinung zu ändern. Das denkt er auch immer noch, doch am Fuße des Flugzeugs wäre ein Meinungsumschwung ausgesprochen ungünstig. Er müsste Kubiš aussteigen lassen und den Abflug so lange verschieben, bis er einen Ersatz für Gabčik gefunden hat. Die Mission würde auf Gott weiß wann verschoben werden. Gabčik setzt an, als wollte er ihn schonend auf eine schlechte Nachricht vorbereiten: «Herr Oberst, es ist mir ausgesprochen unangenehm, Sie darum zu bitten …» Doch die folgenden Worte fegen die Befürchtungen seines Vorgesetzten hinweg: «Ich habe in unserem Restaurant eine offene Rechnung über zehn Pfund hinterlassen. Wäre es Ihnen möglich, sie für mich zu begleichen?» In seinen Memoiren erzählt Moravec, dass er vor lauter Erleichterung nur noch stumm nicken konnte. Gabčik reicht ihm die Hand. «Sie können auf uns zählen, Oberst. Wir werden unsere Mission weisungsgemäß ausführen», sind seine letzten Worte, bevor er in der Kabine verschwindet.

143
    Unmittelbar vor Abflug setzen die beiden Männer ihr Testament auf. Ich habe diese zwei großartigen, flüchtig niedergeschriebenen Dokumente vor mir liegen. Die Schriftstücke sind fast identisch und weisen Tintenflecken auf, an einigen Stellen wurde etwas durchgestrichen. Auf beiden ist das Datum 28. Dezember 1941 vermerkt, sie enthalten zwei Absätze und ein paar nachträglich seitlich eingefügte Zeilen. Gabčik und Kubiš sprechen darin die Bitte aus, man möge sich um ihre Familie kümmern, sollten sie sterben. Zu diesem Zweck gibt jeder eine Adresse an – in der Slowakei beziehungsweise in Mähren. Beide sind Waisen und haben weder Ehefrau noch Kinder. Doch ich weiß, dass Gabčik Schwestern hat und Kubiš Brüder. Weiterhin bitten sie darum, dass man im Falle ihres Ablebens ihre englischen Freundinnen informiert. Auf Gabčiks Blatt steht der Name Lorna Ellison; auf Kubiš’ Edna Ellison. Die beiden Männer sind zu Brüdern geworden und mit einem Schwesternpaar ausgegangen. In Gabčiks Wehrpass liegt ein Foto von Lorna, das es bis zu uns geschafft hat. Die Profilaufnahme einer jungen Frau mit dunklem lockigem Haar, die er nicht mehr wiedersehen wird.

144
    Nichts weist darauf hin, dass die Engländer des SOE (Special Operation Executive) Gabčik und Kubiš mit neuen Kleidungsstücken ausgestattet haben. Ganz im Gegenteil: Es ist wahrscheinlicher, dass diese Angelegenheit von Moravecs tschechischem Dienst übernommen wurde. Es gibt also keinen Grund, dass der Unteroffizier, der damit betraut wurde, Engländer war. Welch penible Angelegenheit …

145
    Der in Minsk stationierte Generalverwaltungskommissar von Weißrussland beschwert sich über den Machtmissbrauch von Heydrichs Einsatzgruppen. Er beklagt, dass ihn die systematische Liquidierung der Juden um wertvolle Arbeitskraft bringe. Darüber hinaus beschwert er sich bei Heydrich persönlich, als er feststellt, dass mit Orden ausgezeichnete jüdische Weltkriegsveteranen in sein Ghetto nach Minsk deportiert werden. Er legt Heydrich eine Liste mit Juden vor, die freigelassen werden sollen, wobei er die mangelnde Urteilsfähigkeit der Einsatzgruppen anprangert, die jeden töten, der ihnen in die Hände fällt. Heydrich antwortet, der Verwaltungskommissar werde sicher verstehen, dass es im dritten Kriegsjahr für die Polizei und Sicherheitsdienste wichtigere Aufgaben im Dienste des Kriegsgeschehens gebe, als kopflos herumzurennen und sich um die Belange der Juden zu kümmern, wertvolle Zeit mit dem Erstellen von Listen zu verschwenden und seine Kollegen von durchaus dringlicheren Aufgaben abzuhalten. Er werde eine Untersuchung über die auf der Liste aufgeführten Personen nur in Auftrag geben, um ein für alle Mal schriftlich zu beweisen, dass derartige Anfeindungen jeglicher Grundlage entbehrten. Er bedauere, dass es sechseinhalb Jahre nach Inkrafttreten der Rassengesetze von Nürnberg noch nötig sei, Rechenschaft über seine Arbeitsweise abzulegen.
    Zumindest eine unmissverständliche Antwort.

146
    «In jener Nacht donnerte in zweitausend Fuß Höhe eine enorme Halifax durch den Himmel über der vereisten Landschaft der Tschechoslowakei. Die vier Propeller durchschnitten vereinzelte Wolkenfetzen und pressten sie gegen die schwarzen, feuchten Flanken der Maschine. Durch eine sargförmige Luke im Boden erblickten Jan Kubiš und Jozef Gabčik aus dem eisigen Rumpf des Flugzeugs

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