Hi, Society
Ganzen, begleitet von einem zunehmend dicker werdenden Knoten in meinem Hals.
Ich weiß, ich sollte es nicht tun. Wozu alte Wunden aufreißen? Was vergangen ist, ist vergangen. Aber ich kann nicht anders. Ich will … Ich muss es einfach tun.
Vorsichtig, als hätte ich Angst, es könnte etwas dabei zu Bruch gehen, hebe ich den Deckel ab. Meine Nerven sind bis zum Anschlag gespannt. Ich konzentriere mich darauf, in den Bauch zu atmen und Ruhe zu bewahren, aber als ich das kleine schwarz-weiße Bild erblicke, kann ich die Tränen nicht mehr zurückhalten. Es ist alles wieder da. Als wäre es gestern gewesen. Die erste Ultraschalluntersuchung, der Klang des Herzschlags, Eriks Gesicht, die Freude in seinen Augen. Die kleinen weißen Stricksöckchen meiner Mum, wie weich sie sich anfühlen, das graue Plastikband aus dem Krankenhaus, das Schwangerschaftstagebuch. Stück für Stück krame ich hervor, während die Tränen nur so über mein Gesicht schießen. Der winzige Bilderrahmen mit dem Bären darauf, die Rassel. Eine Weile bewege ich sie in meiner Hand hin und her und lausche ihrem Klang. Hier. Das kleine weiße Schmusetuch, mit dem Häschen oben drauf, das beim Zahnen helfen soll. Der Abschlussbericht aus dem Krankenhaus … Ich kann nicht mehr. Mein ganzer Körper zittert, meine Augen brennen und mein Zwerchfell zuckt hysterisch. Ich versuche, mich langsam auf den Boden fallen zu lassen, während noch immer Sturzbäche meine Wangen entlang schießen. Die Kälte des Steinbodens tut mir gut und doch weine ich noch immer. Ich weine um alles, was wir verloren haben, um unseren Glauben, unsere Hoffnung … unser Baby.
Ich rolle mich zusammen und umschlinge meine Beine, so wie es meine Mum immer mit mir gemacht hat, wenn ich im Sommer zu viele Kirschen vom Baum genascht und Bauchweh bekommen hatte. Wie leicht war das Leben damals, als es noch keine Sorgen gab, als jedes Problem mit einem frisch gebackenen Stück Kuchen gelöst werden konnte. Wann war das Leben so kompliziert, so schmerzhaft geworden? Ich blicke hinüber zum Wohnzimmerfenster. Das Licht der Straßenlaterne dringt sanft ins Innere und zeichnet einen hellen Streifen auf das glänzende Parkett, welches durch den Schatten der Gerüstträger kunstvoll durchbrochen wird. Was war das?
Ruckartig setze ich mich auf und blicke erschrocken zum Fenster. Da! Sie ist noch immer da. Eine dunkle Gestalt. Auf dem Gerüst. Direkt vor dem Fenster!
KAPITEL 21
E
ine halbe Stunde später zittere ich noch immer. Ich habe natürlich sofort die Polizei gerufen, aber leider waren es die gleichen Polizisten von dem Schuh-Zwischenfall und irgendwie schienen die mich in nüchternem Zustand auch nicht glaubwürdiger zu finden. Ich habe eine ziemlich genaue Täterbeschreibung abgegeben und ihnen das Gerüst gezeigt. Sie meinten bloß, dass polizeilicher Schutz nicht gerechtfertigt sei und ich mir eine schöne Tasse Tee machen und dann möglichst schnell schlafen gehen solle. Also habe ich mich meinem Schicksal ergeben, die Tür hinter ihnen zweimal versperrt und mich für den Notfall vorbereitet. Heißt, meine wichtigsten Schuhe und Taschen sind gepackt, mein Handy steckt griffbereit in meiner Hosentasche und ich mitten in der Suche nach dem Schlüssel für die Wohnzimmertür. Falls er nochmal wiederkommt, dann soll er wenigstens so lange im Wohnzimmer bleiben, bis ich meine Schuhkoffer geschnappt habe und getürmt bin und da ist er auch endlich, der Schlüssel! Mensch bin ich froh. Wäre auch wirklich zu schade, wenn ich meine nigelnagelneuen Louboutins nie hätte tragen dürfen, denke ich, und stecke den Schlüssel ins Schloss. Mist! Das kann doch einfach nicht sein. Das Schloss funktioniert nicht! Ich drehe und drehe und nichts passiert. Weil diese ach so tolle, denkmalgeschützte, holzstuckierte Tür nämlich total verzogen ist. Na toll! Da fällt mir wieder ein, dass ich überhaupt noch nie versucht habe, diese Tür zu versperren. Na Hauptsache, wir zahlen eine astronomische Miete für diese Altbauwohnung und dann kann man noch nicht mal die Tür versperren. Na warte! Dieser Frau Keppenhauser von der Hausverwaltung, na der werde ich’s aber geben. Also da muss wenigstens eine Mietminderung drin sein und wenn die mich wirklich umbringen, dann werde ich die aber auf Schadenersatz verklagen, in Millionenhöhe. Pah!
Dann soll sie mal schauen! Bloß, was mache ich bis dahin? Ich kann so unmöglich schlafen gehen. Ich sage nur, 15 Prozent erhöhtes Einbruchsrisiko. Hallo? Das
Weitere Kostenlose Bücher