Hi, Society
lauten Knall die Rollos nach unten zischen lasse. Seit dieser Vorstellung war ich nie mehr wieder im Ballett oder Musical und meine vorsichtig-wissenschaftliche Attitude habe ich gegen knallharte Direktheit getauscht: »Wenn du dir die nackte Schönheit anschaust, bist du tot!«
Alles bloß Hirngespinste, beschwöre ich mich weiter. Es gibt wirklich keinen objektiven Grund zur Panik, bloß weil ich mir eingebildet habe, dass es in der Küche nach Männerparfum gerochen hat, als ich vorhin in die Wohnung kam. Der am Boden liegende Abholzettel vom Schuster war bestimmt schon heute Morgen von der Pinnwand gefallen. Das ist mit Sicherheit alles bloß so eine Stressfantasie, weil ich allein zu Hause bin, und wegen der ganzen Aufregung der letzten Tage. Mal im Ernst, erst die Begegnung mit diesen Russen in Maries Wohnung, dann der Überfall auf meine Schuhe, das Treffen mit Melnhof und diese Verrückte vor unserer Tür eben, die hat mir den Rest gegeben. Dabei wollte ich mir bloß eine warme Milch mit Honig zur Beruhigung machen. Ich meine, das hilft schließlich auch immer bei den Leuten in diesen Hollywoodfilmen und während die Milch getrunken wird, passiert immer etwas völlig Überraschendes wie: Der unerreichbare Traummann kommt vorbei und gesteht seine Liebe. Oder es ist eine dämonische Präsenz, die den Milchtrinker erst blutrünstig ermordet, um dann mit seinem Blut die Wände zu beschmieren – alles abhängig davon, welches Filmgenre man bevorzugt.
»Alles gut!«, beschwöre ich mich und grusle mich dennoch weiter, während ich die Milch vom Herd nehme und in meine ›Ich-bin-immer-für-dich-da‹-Tasse gieße, die mir Sophie vor Jahren mal zum Geburtstag geschenkt hat. Bloß, dass es nicht stimmte. Sie war nämlich für zwei Tage nach Mailand geflogen. Ein Kosmetikshooting. Wir haben uns beim Meinl am Graben zum Frühstück getroffen, was mich schlagartig daran erinnert, dass der Tag heute Morgen so gut angefangen hatte. Das ist gut. Positive Gedanken! Weiter so!
Ich war ausgeschlafen, musste mich überraschenderweise mal nicht in meine Jeans quetschen – so hat der ganze Stress mit den Hochzeitsvorbereitungen und Erik figurtechnisch endlich auch mal sein Gutes – und ich war geradezu überpünktlich in der Josefstadt zur Therapie mit meiner neuen Stimmpatientin, der Schauspielerin. Sie hat mir das Du angeboten, und irgendwie spüre ich, dass wir schon sehr bald ziemlich gute Freundinnen sein werden.
Katharina ist einfach wunderbar! So bescheiden, sympathisch und unkompliziert. Es hat ihr gar nichts ausgemacht, die Therapie bei ihr zu Hause zu machen, weil doch meine Praxis renoviert wird. Im Gegenteil, sie war der Meinung, dass es eine ernstzunehmende Angelegenheit sei, mit einem verloren gegangenen Feng-Shui-Harmoniezyklus sei schließlich nicht zu spaßen und ich schwöre, dass sie nicht den Hauch eines Lächelns im Gesicht hatte, als sie das sagte.
Meine Mutter behauptet ja steif und fest, ich hätte dem Ganzen zugestimmt, aber mal im Ernst, ich bin mir ziemlich sicher, dass ich mich daran erinnern könnte, hätte ich schon mal von einem Ying-Yang-Brunnen gehört.
Aber in einem Punkt muss ich ihr zustimmen. Der Zeitpunkt für eine Renovierung könnte nicht besser sein, und da ich ohnehin vollauf damit beschäftigt bin, darauf zu warten, bis mich das astrologische Sonnenquadrat endlich verlässt, dachte ich mir, kann ich die Zeit positiv nutzen und auch gleich noch das offensichtlich destruktive Wechselspiel der Elemente in meiner Praxis beheben lassen, das Meister Lin Yun festgestellt hat und meine Mum nebenbei bemerkt auch gänzlich für mein berufliches Desaster verantwortlich macht. Genau deswegen müssen jetzt auch alle Wände in beige und gelb gestrichen werden, weil das nämlich die notwendige Stabilität für den Aufstieg bringt. Um Wachstum zu symbolisieren, wird mein Milchglasschreibtisch gegen einen aus Ahornvollholz getauscht und so weiter und so fengshui, bis der harmonisch-produktive Kreislauf der Elemente eben wieder hergestellt ist. Bis dahin erfolgen meine Therapien eben in Form von Hausbesuchen. Aber Katharina war ja der Meinung, dass sie in ihren eigenen Räumen sowieso am besten abschalten und sich öffnen kann.
Sie ist wirklich sympathisch, überhaupt keine Starallüren! Wir haben uns auf Anhieb verstanden. Sie ist total unkompliziert, hat mir sogar Freikarten für die Talisman-Vorstellung im Theater an der Josefstadt geschenkt und alle Stimmübungen hat sie super
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