Hibiskusblüten
habe. Es sieht nun tatsächlich auch bei ihm wie eine Lungenentzündung aus. Eigenartig.“
Er wählte, ohne mich weiter zu beachten, eine Nummer, und dann sagte er zu mir: „Sie werden verstehen, daß ich diesen Fall jetzt nicht mehr allein übernehmen möchte — aus naheliegenden Gründen.“
Ich hörte, wie er den Chefarzt verlangte und sich dann mit ihm für nachmittags zu einem Konsilium verabredete.
Als er das Gespräch beendet hatte, wandte er sich mir wieder zu: „Doktor Cassner vom Santa-Monica-Krankenhaus hat zugesagt. Wir werden heute beide bei Mister Pickles sein. Sollte es sich wirklich auch bei ihm um eine Lungenentzündung handeln — ich fürchte, daß es so ist —, dann würde ich ihm sofort raten, sich von Doktor Cassner im Krankenhaus behandeln zu lassen. Haben Sie jetzt noch Fragen, Mister Stretcher, oder darf ich mich verabschieden?“
Ich stand auf und wandte mich zur Tür.
„Keine Fragen mehr, Doktor. Vielen Dank und auf Wiedersehen.“
Ich zuckelte gemächlich den Victory Boulevard hinunter in Richtung Burbank, bog am Victory-Platz nach links zum Flugfeld ab, und besuchte meinen Freund Lewis Stonebraker in der Redaktion der kleinen Skandalzeitung „We Know Something“.
Lewis ist ungefähr in allem das Gegenteil von mir: er ist ein hübscher Bursche, dem die Frauen nachlaufen, und statt einer gesunden Seele hat er eine Kartei in seinem Inneren, in der er alle Klatschaffären und sämtliche Skandale schön geordnet aufbewahrt. Gegen mittelmäßige Honorare, und mit dem Gift seines Zynismus vermengt, tischt er sein Wissen bei jeder erdenklichen Gelegenheit einer sensationsgierigen Öffentlichkeit auf.
Lewis hat einen sechsten Sinn dafür, unangenehme Dinge aufzuspüren, dafür aber fehlt ihm eins der wichtigsten Organe ganz: das Herz.
Unsere Freundschaft war eigentlich gar keine, sondern eher das, was die Naturforscher als „Symbiose“ bezeichnen: so etwa, wie sich der Einsiedlerkrebs eine Seerose auf den Rücken klebt, ohne deshalb mit ihr besonders befreundet zu sein. Der Krebs schleppt dann die eigentlich unbewegliche Seerose von einem Futterplatz zum anderen, und profitiert andererseits für sich von dem, was sie dort zum Fressen erwischt.
In unserem Fall war ich gewissermaßen der Krebs, der Lewis stets dorthin brachte, wo etwas los war; ich wiederum profitierte von dem, was er wußte oder aus Kanälen zugetragen bekam, die mir unzugänglich waren.
Die Redaktion befand sich in einem alten Hinterhaus. Jedesmal, wenn ich diese Bruchbude sah, hatte ich den Eindruck, daß sämtliche Mitarbeiter ihr gesamtes Kapital in Whisky und Zigaretten anlegten, anstatt für ein halbwegs anständiges Mobiliar zu sorgen.
In Lewis kleinem Verschlag brauchte ich eine Weile, bis ich ihn im blauen Qualm entdeckt hatte. Er hockte mit angezogenen Beinen auf einer uralten zerschlissenen Couch, hatte die unvermeidliche Zigarette im Mundwinkel hängen und die offene Whiskyflasche neben sich auf dem Boden stehen. Er las einen Brief und blickte erst auf, als ich ihm den Bogen aus den Fingern zog.
„Hallo, Allan“, sagte er, ohne die Zigarette aus dem Munde zu nehmen, „was gibt’s? Bist du in Schwierigkeiten?“
„Noch nicht“, sagte ich und ließ mich auf dem Drehstuhl nieder, der vor seinem Schreibtisch stand und der jedesmal laut klagend quietschte, wenn man sich draufsetzte. „Noch nicht, Lewis. Aber es sieht ganz so aus, als ob ich es bald sein würde.“
Er deutete auf den Brief, den ich immer noch in der Hand hielt, und leckte sich die Lippen.
„Nette Sache habe ich da gerade wieder“, sagte er, „man hat die alte Mrs. Climberry in Yuma drüben entdeckt. Sie war völlig besoffen und hat in diesem Zustand versucht, einen Kellner zu verprügeln. Ist das nicht märchenhaft?“
Ich zuckte mit den Schultern.
„Wer ist Mrs. Climberry?“
„Mensch, Allan!“ rief er und schlug die Hände zusammen. „Du wirst niemals ein guter Detektiv werden! Mrs. Climberry ist erstens Vorstandsmitglied von unserer Frauenliga zur Förderung der Mäßigkeit, und zweitens schreibt sie Hetzgeschichten gegen die Republikaner. Das heißt —“, fügte er grinsend hinzu, „das wird sie beides die längste Zeit gewesen sein.“
„Du bist ein ausgewachsenes Ekel, Lewis!“ sagte ich. „Kann sich denn so eine arme Person nicht auch einmal die Nase begießen, ohne daß du sie gleich ruinierst?“
„Nein“, sagte er. Die Asche seiner Zigarette fiel auf seinen Anzug, was ihn nicht störte. Er schaute
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