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Hibiskusblüten

Hibiskusblüten

Titel: Hibiskusblüten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Borell
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war ganz in Weiß gehalten. Das Telefon, der Schreibtisch, der Karteikasten, das Liegebett, der Boden, die Stühle: alles war strahlend weiß. Auf einem langen Tisch an der linken Wand standen große Mikroskope sowie andere medizinische Instrumente unter Glas, so daß man eher den Eindruck hatte, im Raum eines Naturforschers zu sein, als im Konsultationszimmer eines praktischen Arztes.
    Doktor Howard deutete auf einen schweren Sessel, der natürlich ebenfalls weiß überzogen war. Er trug nun einen offiziellen dunkelgrauen Anzug, ein weißes Seidenhemd und eine helle Krawatte. Er war ebenso groß wie ich, und wieder fiel mir seine drahtige Schlankheit auf. Sein schmales, hohes Gesicht war sonnengebräunt, und in seinem glatt anliegenden, glänzenden dunklen Haar entdeckte ich keine Spur von Weiß oder Grau. Er sah aus, als wäre er nur ein paar Jahre älter als ich, keineswegs aber ein Fünfziger.
    Er hatte einen schmalen, scharfgeschnittenen Mund, graue Augen, die einen durchbohrend anblickten, und seine Stimme klang ein wenig belegt, fast heiser. Er schien mich nicht wiederzuerkennen.
    „Was kann ich für Sie tun“, fragte er, „ich hörte, Sie sind Detektiv und kommen von Mister Pickles?“
    Ich nannte ihm meinen Namen und sagte, ich sei nicht krank, sondern wolle mich mit ihm einmal kurz über ein kleines Mädchen unterhalten, das vor ein paar Tagen Hibiskusblüten abgeknipst und zu einem etwas merkwürdigen Zweck verwendet hatte.
    Der Arzt lächelte. Er hatte die prachtvollen, schneeweißen und kräftigen Zähne eines Raubtiers.
    „Ach ja“, sagte er, „der alte Herr ist furchtbar aufgebracht. Aber... ach ja, Sie waren draußen, als ich gerade wegfuhr, nicht? Es ist ja tatsächlich eine etwas unglückliche Geschichte. Ich habe Eve vor langer Zeit einmal erzählt, daß es bei den Eingeborenen der Südseeinseln diesen Brauch gibt, aber ich konnte ja nicht ahnen, daß sie es nachmachen würde. Schon im vorigen Jahr habe ich ihr ordentlich ins Gewissen geredet und ihr gesagt, sie solle diesen Unsinn künftig bleiben lassen. Nun hat sie’s diesmal aber wieder getan, ohne vorher nur einen Ton zu piepsen. Ich hab’ ihr heute ganz energisch die Leviten gelesen. Erstaunlich, wie sich ein Kind an so was festklammert, nicht?“
    „Tja“, sagte ich, „es ist eine ziemlich dumme Geschichte. Der alte Herr hat mich nämlich beauftragt, den Dieb festzustellen, aber ich habe vorhin Eve versprochen, sie nicht zu verpetzen. Selbstverständlich werde ich nun den Auftrag unerledigt zurückgehen lassen.“
    „Das ist wirklich sehr nett von Ihnen“, sagte er und nickte mir anerkennend zu. Er sah gar nicht aus wie eine Mischung aus Giftschlange, Satan und Al Capone. Und mein interessanter Fall schmolz mehr und mehr zusammen.
    „Darf ich Ihnen etwas anbieten, Mister Stretcher — Whisky? Rauchen Sie?“
    „Ich bin Nichtraucher. Aber gegen einen Whisky hätte ich nichts einzuwenden.“
    Er verschwand im Nebenzimmer und kam mit einer Flasche und zwei Gläsern zurück.
    „Waren Sie in der Südsee?“ fragte ich.
    „Einige Male“, nickte er. „Ich war lange Zeit Schiffsarzt und kenne die Gegend einigermaßen. Der Brauch, den ich da dummerweise Eve erzählt habe, ist dort tatsächlich weit verbreitet. Man findet ihn von Hawaii bis zu den Gesellschaftsinseln hinunter und westlich über Neu Guinea bis Borneo. Die Mädchen glauben dort fest daran und wünschen sich natürlich zu neunzig Prozent einen Mann.“
    „Das ist ja noch ein recht harmloser Wunsch“, sagte ich.
    „Aber ist Ihnen bekannt, was Eve sich im Vorjahr gewünscht hat?“
    Der Arzt schüttelte den Kopf und blickte mich erwartungsvoll an.
    „Nichts weniger“, fuhr ich fort, „als daß ihre Großmutter stirbt. Das merkwürdige ist, daß ihr dieser Wunsch so überaus prompt erfüllt wurde.“
    Wir tranken unseren Whisky, und Doktor Howard sagte unerwartet ernst: „Es gibt viele merkwürdige Dinge auf dieser Welt, es gibt sehr viele Dinge, von denen wir uns keine Vorstellung machen können.“
    „Wollen Sie damit sagen, Doktor, daß Sie selber dran glauben?“
    Er zündete sich eine Zigarre an, hob dann die Schultern und ließ sie wieder fallen. Er schaute mich nachdenklich an, als wolle er ergründen, ob ich ihn überhaupt verstehen könne.
    „Ich bin natürlich nicht abergläubisch“, sagte er, „aber ich weiß, daß es Dinge gibt, von denen wir uns keine Vorstellung machen können. Selbstredend glaube ich auf keinen Fall, daß der Tod der alten Dame

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