Hibiskusblüten
mit diesem kindlichen — oder besser kindischen Wunsch zusammenhängt. Sie war nämlich meine Patientin. Sie hatte eine Lungenentzündung, der sie leider erlegen ist. Ich war damals tagelang bei ihr und habe getan, was in meinen Kräften stand. Übrigens war sie in die Blumen genauso sehr vernarrt wie ihr Bruder. Meine Warnungen, vorsichtig zu sein, wenn sie länger in einem Treibhaus gewesen war, schlug sie genauso in den Wind wie ihr Bruder — der jetzt ja auch eine Erkältung abgekriegt hat. Die Pickles sind entsetzliche Dickschädel und neigen zu Eigenbrötelei. Eve scheint eine ganz nette Portion davon geerbt zu haben.“
„Hat der alte Herr auch eine Lungenentzündung?“ wollte ich wissen.
„Aber nein! Nur eine kleine, an sich harmlose Erkältung. Aber in seinem Alter — er ist doch immerhin schon achtundsechzig —, da muß man etwas vorsichtig sein und auch so was ernstnehmen. Ich habe ihn vorsorglich ins Bett gepackt. Ich denke aber, daß er in zwei Tagen wieder auf dem Damm sein wird.“
Ich ging mit meinem Pulver sparsam um, trank schweigend meinen Whisky und schaute zu, wie Doktor Howard gedankenversunken vor sich hinrauchte. Er gefiel mir. Wie würden meine Chancen, beruflich und bei den Mädchen, in schwindelnde Höhe steigen, wenn ich annähernd so gut aussähe!
Endlich sagte ich: „Das sonderbarste an der ganzen Sache ist, daß Eve mir versichert hat, sie habe nur wenige Blüten genommen. Es fehlen aber alle. Das kann sich kein Mensch erklären.“
Der Arzt schüttelte überrascht den Kopf.
„Davon wußte ich auch nichts“, sagte er, „Ich war im Glauben, Eve hätte sich nur ein paar geholt. Aber jetzt verstehe ich auch den Zorn des alten Herrn. Ich schob es seiner Indisposition zu, daß er sich so aufregte, und ich wunderte mich nicht weiter darüber. Schließlich kenne ich ihn ja lange genug. Aber alle Blüten?“
Er schloß den Satz mit einem Achselzucken, lächelte dann aber.
„Wissen Sie“, sagte er, „ich kenne die Kleine schon seit acht Jahren. Sie ist ein reizendes Kerlchen, aber viel zu altklug. Für ihr Alter müßte sie noch viel mehr Kind sein. Sie konnte fast nie mit gleichaltrigen Kindern spielen und war viel zuviel mit Erwachsenen zusammen. Auch die Scheidung ihrer Eltern hat sie aus nächster Nähe miterlebt und vieles aufgeschnappt, was nicht für Kinderohren bestimmt war. Eve — na kurz und gut — Eve ist nicht immer ganz ehrlich. Ich will damit nicht sagen, daß sie notorisch lügt, aber sie sucht sich gern den bequemsten Weg, und damit kommt es ihr auf einen kleinen Schwindel nicht an. Wahrscheinlich hat sie sich doch alle Blüten geholt und will es nun, wo sie es nicht mehr ganz abstreiten kann, wenigstens etwas abschwächen.“
„Es spricht vieles dafür“, sagte ich, „daß es so ist. Ich muß nun sehen, wie ich mich mit Anstand aus dieser Geschichte herausziehe.“
Wir unterhielten uns noch eine Weile über die Südseeinseln, und endlich fragte ich ihn, ob er nicht irgendeine Verwendung für Hibiskusblüten wisse. Dies für den Fall, daß tatsächlich noch ein zweiter Dieb mit im Spiel sei. Ich hätte dem alten Pickles zu gerne einen handfesten Dieb serviert und hundert Dollars für meine Mühe verrechnet.
Doktor Howard streifte vorsichtig die schneeweiße Asche seiner schwarzen Zigarre ab.
„Nicht daß ich wüßte“, sagte er nachdenklich. „Mir ist nur bekannt, daß man sie als Schmuck verwendet. Auch auf meinen Reisen konnte ich, soviel ich mich erinnere, nichts anderes feststellen. Aber ich besitze einige Literatur über die Südsee und werde nachsehen, ob ich nicht doch etwas finden kann. Machen Sie sich aber keine Hoffnungen“, fügte er lächelnd hinzu, „ich fürchte nämlich, daß unser beider Mühen vergeblich sein wird. Kinder denken meistens sehr einfach und erstaunlich logisch: Eve wird gemeint haben, daß ihr Wunsch desto eher in Erfüllung geht, je mehr Blüten sie verwendet. Daß noch ein anderer Blütendieb beteiligt sein soll, das ist mir — verzeihen Sie bitte — das ist mir doch etwas — zu...“
„...sehr an den Haaren herbeigezogen“, sagte ich. „Ja, ja — es wird schon so sein. Ich will Sie nicht länger aufhalten. Auf Wiedersehen, Doktor.“
In diesem Augenblick klingelte das Telefon auf seinem Schreibtisch, und ich entnahm seinen Antworten, daß es Mrs. Buttom war, die anrief.
Als Doktor Howard eingehängt hatte, bestätigte er es mir.
„Dem alten Herrn“, sagte er, „geht es schlechter, als ich erwartet
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