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Hier hat s mir schon immer gefallen

Titel: Hier hat s mir schon immer gefallen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx Melanie Walz
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abgetretenen Arbeitsstiefel.
    »Du hast doch Mieter - uns.«
    »Ich meine, wenn ihr nicht mehr da seid«, sagte er, rollte sich mit seinen verkrüppelten gelben Fingern eine Zigarette und kniff die dreieckigen Augen vor dem Rauch zusammen.
    Dieses Argument war schlecht zu entkräften. Erst am Tag zuvor hatte Catlin Marc gefragt, was er davon halte, eine Blockhütte zu bauen. Sie hatte nicht »Haus« sagen wollen. Das hätte zu dauerhaft geklungen. Er hatte nur die Achseln gezuckt. Das konnte alles und nichts heißen. Er war immer so ausweichend, und das gefiel ihr nicht. Einmal hatte sie ihn gefragt, warum er nach Idaho gekommen war, und er hatte gesagt, er hätte schon immer Cowboy werden wollen. Aber sie hatte ihn noch nie bei einem Pferd oder bei einer Ranch gesehen. Hatte er sich über sie lustig gemacht?
    Catlin war in Boise geboren und aufgewachsen; sie war die Urenkelin eines baskischen Schafhirten aus den Pyrenäen, und manchmal erklärte sie Marc, dieser Umstand mache sie zu einer Europäerin, obwohl sie noch nie weiter weg von Idaho gewesen war als bis nach Salt Lake City und zum Yellowstone Park.
    Der Hirtenvorfahre war ehrgeizig gewesen. Er hatte sich für Bertillons und Galtons forensische Physiognomik interessiert und war der Ansicht gewesen, man könne ein Kompositbild des aufrechten Menschen schlechthin anfertigen, indem man Fotos angesehener Männer aller Rassen kombinierte. Er musste sein Vorhaben aufgeben, als er keinen Inuit, keinen Papua, keinen Buschmann oder sonstige in Idaho eher spärlich vertretene Exemplare der menschlichen Spezies auftreiben konnte. Er entwickelte eine zynische Haltung zum Idealismus, richtete sein Interesse auf das Geld und eröffnete in Boise ein Bekleidungsgeschäft, das bald Filialen bekam und der Familie bescheidenen Wohlstand einbrachte.
    Catlin erhielt von ihren Eltern ein Monatseinkommen und hätte nicht arbeiten müssen, aber sie wollte Marc nicht beschämen. In Wyoming fand sie eine Teilzeitarbeit im Tourismusbüro, wo sie landschaftlich attraktive Autorouten für Supercamper und Geländefahrzeuge austüftelte. Das führte zu dem Schrein für breite Wege ohne Verkehr und ohne Hügel.
    Die Fiktion der Unabhängigkeit erhielten sie dadurch aufrecht, dass beide ein Auto besaßen. Ihr wahres Lebensinteresse war weder die Arbeit noch inbrünstige Liebe, sondern das Wandern in unberührter Natur. So viele Tage und Wochen, wie sie erübrigen konnten, verbrachten sie mit Bergwanderungen in den Bighorns und dem Wind River Range, wo sie alte Holzwege erkundeten und in alten Goldsucherclaims herumstöberten. Marc hatte zahllose Pläne. Er wollte das Seengebiet zwischen Ontario und Minnesota mit dem Kanu erkunden, die Küste von Labrador mit dem Kajak entlangfahren, in Peru fischen. Sie fuhren Snowboard in denWasatch-Bergen, folgten Wolfsrudeln im Hinterland des Yellowstone-Naturparks. Sie verbrachten lange Wochenenden im Canyongebiet von Utah und suchten Fossilien in Wyomings Red Desert Haystacks. Wilde Natur wärmte ihnen das Herz.
    Aber nicht immer war alles eitel Freude; manchmal hinterließen die Abenteuer einen bitteren Geschmack. Einmal begann es Mitte Oktober zu schneien, einen halben Meter trockenen Pulverschnee, der so locker war, dass sie mit den Skiern bis zum Felsgrund einsanken.
    » Neige poudreuse .Warten wir ein paar Tage, bis er sich gesetzt hat und es eine Unterlage gibt«, sagte Marc. Doch es taute nicht, der Schnee konnte nicht festfrieren, und so blieb es. Der Wind blies den Schnee umher, verstreute ihn. Es schneite weder im November noch im Dezember, noch in der ersten Januarhälfte. Der Lagerkoller machte sie fast verrückt. Als Bill vorbeikam, um die Miete abzuholen, prophezeite er, den Mund voll Kautabak, eine Jahrtausenddürre.
    »Gab es schon früher«, sagte er. »Fragt die Anasazi.«
    Dann brachen Stürme vom Pazifik herein. Schwere Schneefälle und Sturmwinde türmten zwei Meter hohe Schneewehen auf. Als sie nach draußen liefen, um die Skier aufzuladen und den Schnee auszuprobieren, spürten sie die Spannung und die erstickten Geräusche tief im Erdinneren, die Vorboten klimatischer Umstürze waren.
    »Heute bleiben wir auf der Piste«, sagte Marc. »UndWanderwege lassen wir auch lieber. Der alte Transportweg ist wahrscheinlich noch am sichersten.«
    Während der Fahrt den Berg hinauf begann es wieder zu schneien, und sie kamen an Männern vorbei, die einen Lastwagen aus dem Graben zu schieben versuchten. Himmel und Erde verschwammen

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