Hier kommt Hoeneß!
sei in den letzten Jahren »von allen« falsch eingeschätzt worden, auch von allen politischen Parteien. Die Politiker sollten zugeben, »dass sie mindestens genauso viel Schuld an dem Desaster« der derzeitigen Wirtschaftskrise haben wie die Manager, so sein Anliegen. Und was wäre laut Hoeneß zu tun? Der Wurstfabrikant hat ein paar Floskeln zu bieten, die auch vor einem Bundesligaspiel gut passen würden: »Wir müssen schauen, dass wir wieder in die Gänge kommen. Das Wichtigste für die Zukunft ist, dass die Wirtschaft funktioniert. Wenn es keine Partei gibt, die dafür sorgt, können wir gleich aufhören.«
Was er wunderbar politikerlike draufhat, sind diese Diskussionsgesten: etwa der ausgestreckte Zeigefinger und das »O«, geformt von Daumen und Zeigefinger, als Argumentationsverstärker.
Damit der »kleine Mann auch was zu essen habe«, sei Hoeneß auch für den Mindestlohn, den er in seiner Nürnberger Wurstfabrik HoWe mit 7,50 Euro längst eingeführt habe. Er zahle auch gerne fünf Prozent mehr Reichensteuer, aber deshalb gehe es »dem kleinen Mann kein Stück besser«. Es bringe nichts, immer nur gegen die Reichen zu sein, denn »wenn die Unternehmer alle in die Schweiz gehen, ist auch keinem geholfen«. Hoeneß erntet gleichermaßen mitleidiges Gelächter wie stürmischen Applaus. Nach einer seiner lautstarken Argumentationseruptionen wirft er sich abrupt in den Stuhl zurück und sagt – womöglich zu sich selbst – etwas leiser: »So ist es doch!« Wenn Hoeneß spricht und sich ereifert, schlägt Günter Wallraff immer mal wieder die Hände über dem Kopf zusammen und rät ihm schließlich: »Sie sollten Finanzminister werden!«
So weit wird es nicht kommen, denn Hoeneß sieht sich ja eher als Mann der Praxis. Institutionen wie die Gewerkschaften sind ihm ein Graus. In einer Talkshow sagte er einst zur damaligen stellvertretenden Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbunds und SPD-Politikerin Ursula Engelen-Kefer: »Sie machen immer nur Theorie. Sie haben in Ihrem Leben noch nie ein paar Bratwürste verkauft.« Hemdsärmelige Logik à la Hoeneß. Doch mit solchen Sprüchen punktet der Bayern-Manager beim Volk.
Hoeneß, der Anwalt des Volkes. Womöglich schlägt er sich selbst einmal für den Bundesliga-Friedensnobelpreis vor. Die Wahrnehmung seines Wirkens, glaubt Hoeneß, hat sich verändert über das letzte Jahrzehnt. In den 80er-Jahren, besonders in den Auseinandersetzungen mit dem damaligen Kölner Trainer Christoph Daum sowie in den gegenseitigen Anfeindungen mit Werder Bremens Manager Willi Lemke, war sein Bild als »Abteilung Attacke« geboren und mehr und mehr herausgebildet worden. Doch weil er sein Herz auf der Zunge trägt und so schlecht Antipathie oder gar Wut herunterschlucken kann, wenn er sich ungerecht behandelt fühlt, muss er den Aufklärer spielen. Sich selbst gab Hoeneß, als er seinen zweiten Vornamen »Abteilung Attacke« nicht mehr hören konnte, daher das neue Prädikat »Abteilung Wahrheit«. So will Hoeneß wahrgenommen werden. Herrlich sind diese Momente, in denen Hoeneß einem Reporter am Telefon oder von Angesicht zu Angesicht erklärt, dass Schluss sei mit Attacke, dass nur noch die Wahrheit zähle und dass die Medien generell eher der »Abteilung Lüge« zuzuordnen seien. Damit der Journalist versteht, was Sache ist, ist Hoeneß in diesen Fällen spontan dazu bereit, die Übermittlung der Botschaft möglichst aggressiv und lautstark vorzunehmen. Widerrede zwecklos. Ein-Mann-Diskussion beendet. Abteilung, marsch. Hoeneß macht kehrt.
Attacke, Spitze, eins, zwei, drei – alles Schnee von gestern? Er habe sich verändert, sei harmoniesüchtiger geworden über all die Jahre, gesteht Hoeneß. Etwa gar altersmilde? So weit gehe es ja dann doch nicht. Dennoch: »Ich will nicht mehr jeden Tag der böse Bube sein«, erklärt der Manager. »Ich stelle fest, dass selbst die allergrößten Bayern-Hasser sagen: ›Der Mann gefällt uns, weil er den Finger in die Wunde legt.‹ Ich stehe zu dem, was ich gesagt habe, und nehme kein Jota zurück. Ich gehe für meine Meinung durchs Feuer.« Natürlich hat er sich dabei auf seinem Weg mal leichte, mal schwere Verbrennungen zugezogen. Doch nun ist er mit sich im Reinen. Behauptet er. Man mag es kaum glauben. Doch tatsächlich haben sich die meisten Auseinandersetzungen auf die 80er- und 90er-Jahre konzentriert – wohl auch eine Frage des Alters.
»Dass die Feinde insgesamt weniger geworden sind, fühlt sich aber gut an. Als
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