Hier kommt Hoeneß!
Uschi hatte inzwischen die Scheidung eingereicht.
»Der Gerd braucht dringend Hilfe und eine Aufgabe im Leben«, alarmierte Maier damals Manager Uli Hoeneß. Zunächst aber musste er geheilt werden, musste sich eingestehen, dass er krank war, und einwilligen, eine Entziehungskur zu beginnen. Müller selbst, so seine Frau, hätte damals die Kraft zu diesem Entschluss gefehlt. »Am Anfang hab ich das gar nicht so bemerkt, wie ich immer tiefer reinrutschte und Hilfe brauchte. Bis man mich zum Uli geschleppt hat.«
Gerd Müller lehnt es heute nicht ab, über diese Zeit seines Lebens zu sprechen, wirklich entspannt wirkt er dabei naturgemäß nicht. Er macht Pausen, wenn er spricht, redet nicht mehr so schnell und abgehackt wie sonst, wenn er Journalisten über Fußball und seine Nachfahren Auskünfte geben soll. Es schwingt Stolz in seiner Stimme mit, wenn er heute sagen kann: »Ich habe fast mein Leben durch Alkohol zerstört.« Zum Glück nur fast. Auch mit seiner Frau Uschi kam er wieder ins Reine.
Hoeneß besorgte Müller einen Therapieplatz in einer Klinik. »Der Uli hat sich erkundigt, wo man mir am besten helfen konnte. Und gleich am nächsten Tag war ich schon weg aus München.« Sobald es gestattet war, fuhren Hoeneß sowie ab und zu auch Beckenbauer zu ihrem einstigen Mannschaftskollegen und schauten nach ihm. »Erst kam ich für 14 Tage ins Krankenhaus nach Garmisch-Partenkirchen, dann folgten zwei Wochen Kur, auch in Garmisch. Die wollten mich noch zwei Wochen länger drinbehalten, aber ich wusste dann, dass ich es geschafft hatte, und habe gesagt: Danke, auf Wiedersehen!« Vier Wochen haben ihm gereicht, um wieder trocken zu werden. »Gott sei Dank ist das alles gut gegangen«, sagt Müller heute.
Doch das war nur der erste Schritt. Er brauchte eine Aufgabe, einen Job. Mannschaftsbetreuer in irgendeiner Form, Helfer bei Sponsorenkontakten und Talentsucher – das waren die ersten Ideen. Denn seine alten Bayern-Kumpel dachten, dass Müller nie Trainer werden könnte – wegen seiner Gutmütigkeit. »Das ist mir zu stressig, ich hab ja am liebsten mei Rua«, sagte er auf gut Bayrisch. Doch Hoeneß überredete ihn 1991. Er wusste: Sobald Müller wieder auf dem Trainingsplatz stehen würde, wäre er wieder in seinem Element. Am Anfang war Müller Torwart- und Stürmertrainer für die Jugendteams, danach Assistenzcoach bei den Amateuren, meist an der Seite von Hermann Gerland, später von Mehmet Scholl. Noch 1992 erwarb Müller den A-Trainer-Schein. »Wenn ich damals keinen Job bekommen hätte, wäre die ganze Scheiße wieder von vorne losgegangen«, erinnert sich Müller. »Allein hätte ich das nicht geschafft. Wenn du in so einem Kreislauf bist, kommst du von selbst nicht mehr raus. Ich habe damals gelitten, sehr gelitten.«
Müllers Rettung war aber nicht nur ein Akt der Nächstenliebe, sondern auch so etwas wie die Anerkennung für seine Lebensleistung. Denn ohne die Treffer von »kleines, dickes Müller«, wie Bayern-Coach Tschik Cajkovski seinen Goalgetter genannt hatte, hätte der FC Bayern nie den Aufstieg von der Regionalliga Süd in die Beletage des europäischen Fußballs geschafft. 427 Bundesligaspiele, 365 Tore– das sagt alles. Heute begleitet Müller die Profimannschaft bei sämtlichen Champions-League-Reisen.
»Der Gerd war es, der den FC Bayern und uns alle groß gemacht hat – ohne ihn hätten wir alle, der Franz, der Uli und ich, nicht diese Erfolge feiern können, wir hätten alle nicht so viel Geld verdienen können«, resümiert Maier. Sie hatten ihm viel zu verdanken. Und Gerd Müller seinen alten Spezln sein Leben.
Was einige Fans jedoch zu vergessen schienen. Überkritische Fans, die sich offenbar Sorgen um den aktuellen Etat und die Liquidität des Vereins machten, wollten Mitte der 90er-Jahre wissen, wofür Amateure-Assistenztrainer Müller denn sein Gehalt bekomme und ob dieses Geld wirklich notwendig sei, ob man es nicht besser für andere Posten ausgeben solle. Bei einer Jahreshauptversammlung platzte Präsident Franz Beckenbauer der Kragen, er schimpfte ins Mikrofon: »Ohne den Gerd und ohne seine Tore hätten wir niemals diese Erfolge gehabt, ohne ihn wäre der FC Bayern nicht das, was er ist. Ohne den Gerd würden wir uns vielleicht heute noch in dem alten Holzhäusl am Trainingsplatz umziehen. Ich denke, ohne den Gerd würden wir alle heute hier nicht sitzen.« Das war deutlich.
Uli Hoeneß erhob sich von seinem Platz auf dem Podium und applaudierte. Wenige Sekunden
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