Hier kommt Hoeneß!
wäre selbst die Autofahrt zu heikel gewesen. Ich durfte weder sitzen noch liegen, habe das Spiel daheim im Stehen verfolgt«, erinnert sich Augenthaler. »Das waren die schlimmsten 90 Minuten meiner Karriere.« Er litt, weil die Mannschaft ohne ihn führungslos und Matthäus hilflos war. Der Angeklagte bekannte sich schuldig, meinte kleinlaut: »Ich habe versagt. Ich muss mir alle Vorwürfe, alle Kritik gefallen lassen.«
Wie Udo Lattek auch. Die übervorsichtige Spielweise der zweiten Halbzeit wurde ihm als Finalkiller vorgehalten. Er warf der Mannschaft vor, nicht selbstständig genug agiert zu haben. Der Bruch zwischen ihm und den Spielern war in der Folge nicht mehr zu kitten. Auf dem Festbankett des »Hotels Marriott« am Wiener Parkring warteten 450 Ehrengäste inklusive Bundesinnenminister Zimmermann vergeblich auf ein einziges Wort des Trainers, aber der plauderte lieber bis in die Morgenstunden mit Juan Gaspert, dem Vizepräsidenten des FC Barcelona und Patenonkel seiner Tochter Nadja. Lattek hielt bis sechs Uhr morgens durch, orderte noch einen der teuersten Rotweine des Hauses und verschwand auf sein Zimmer.
Am nächsten Tag folgte dann vor dem Rückflug nach München Latteks Abrechnung: »Ich bin einfach nicht mehr in der Lage, verantwortlich zu sein für das, was einige Spieler auf dem Platz leisten. Einige im Umfeld des FC Bayern haben das Leistungsvermögen der Mannschaft überschätzt. Wir sind eben kein internationales Spitzenteam. Ich zähle die Tage, bis es bei Bayern für mich vorbei ist. Den Rest werde ich mit Anstand hinter mich bringen.« Der Rest bedeutete: vier Bundesligaspieltage bis zum Meistertitel. Für die nächste Saison war bereits Trainer Jupp Heynckes verpflichtet worden.
Die Geschichte hatte sich wiederholt, 1987 nicht besser als 1982: ein verlorenes Finale trotz Favoritenrolle, eine ins Wasser – besser in den Alkohol – gefallene Siegesfeier, anschließend das Zerwürfnis zwischen Mannschaft und Trainer, gegenseitige Schuldzuweisungen und ein tief enttäuschter Manager. Nach der Porto-Pleite gestand Hoeneß: »Das war die schlimmste Niederlage meines Lebens.« Er konnte ja nicht wissen, was noch kommen sollte.
Nicht weniger als die größte aller Niederlagen, unter Bayern-Fans als »Barcelona 99« abgekürzt. 20 Jahre und 26 Tage seit dem ersten Arbeitstag von Uli Hoeneß als Manager waren vergangen, als die Bayern im imposanten Stadion Nou Camp in Barcelona auf Manchester United trafen. Jegliche Vorgeschichten, sämtliche Stationen auf dem Weg ins Finale – alles zu vernachlässigen. Zwölf Jahre dauerte die Pein von Wien 1987 nun schon an. Doch endlich war sie da, die nächste Chance auf den Champions-League-Pokal. Hoeneß – die dritte. Sein dritter Versuch, die Ziellinie eines Marathons eine Nasenlänge vor dem Gegner zu erreichen. Hinter dieser Linie, so glaubte er, sollte die Erfüllung warten, die Glückseligkeit. Da konnte schon etwas Sentimentalität aufkommen beim Gedanken an das Ende eines Weges, bei der Frage: Was dann?
Gegenüber Freunden hatte Hoeneß, damals 47, vor dem Endspiel ein wenig mit seinem Rücktritt kokettiert, schließlich mache er den Job nun schon 20 Jahre. Und in einer Sportlerseele ist dank zahlreicher negativer Vorbilder oft die Einstellung verankert, dass es doch am besten ist, auf dem Höhepunkt der Karriere abzutreten. Doch wer schafft das schon?
An das Spiel jenes 26. Mai 1999 erinnern sich die Beteiligten auch heute noch wie im Zeitraffer. Wer will sich noch an den Freistoß zum 1 : 0 von Mario Basler in der sechsten Minute erinnern? Ein kurzes Glück, vergängliches Glück. Wer will da noch an die Chancen zum 2 : 0 und 3 : 0 in der zweiten Halbzeit denken, als Mehmet Scholl den Ball an den Pfosten lupft, als Carsten Jancker per Fallrückzieher die Latte trifft? Doppeltes Pech, doch das hielt ManU im Spiel.
Wenige Minuten vor Ende beginnt die Unruhe auf der Bayern-Bank, mittendrin Uli Hoeneß. Viel Zeit bleibt nicht bis zur Siegerehrung, alles muss vorbereitet sein. Stopp, da ist der Aberglaube. Er lähmt die Aktivitäten. Aber man wäre der erste Verein der Welt, der beim Abpfiff als Triumphator mit leeren Händen dasteht. Ohne Siegerkappe. Ohne Siegershirts. Ohne Champagner. Geht nicht. Also wird im Hintergrund betont unauffällig gewerkelt. Betreuer pendeln zwischen Bank und Kabine her, ihre Ware ist in Kisten verpackt: Siegerkappen, Siegershirts –
beide mit der Aufschrift »Champions-League-Sieger 1999 – FC Bayern München«
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