High - Genial unterwegs an Berg und Fels
furiosen Schlussapplaus, dann ist das ein Gefühl, das sich sehr gut als »Glück« beschreiben lässt. Das Glück, das nur der Sport herzaubert.
Ich verstehe Klettern nicht nur als reinen Sport. Ich freue mich über das Ganze. Schon im Jugendeuropacup war es für mich wichtig, neue Länder zu sehen, gute Leute kennenzulernen, Zeit mit ihnen zu verbringen und die gemeinsame Leidenschaft zu teilen.
Das Wettkampfklettern ist inzwischen sehr auf den Sport reduziert. Der Tross reist zwar um die Welt, aber ohne die Welt zur Kenntnis zu nehmen. Das ist mir zu wenig. Der Wettkampf ist wichtig für mich, keine Frage. Aber ich empfinde meine Wettkämpfe immer mehr auch als Arbeit.
Die Professionalisierung raubt meiner Sportart oft den Zauber. Sie fordert den Sportler bis an seine Grenzen. Sie verlangt von uns, so gut wie täglich zu trainieren. In meiner ersten Weltcupsaison war ich sieben Mal pro Woche in der Halle, jeweils dreieinhalb bis vier Stunden lang. Man kann sich leicht ausrechnen, wie viel Zeit dafür bleibt, etwas anderes zu tun.
Die Luft wird dünner. Klettern wird immer internationaler. Noch kommen die meisten Athleten aus Europa, aber aus Amerika und Asien drängt immer mehr Nachwuchs in die Wettbewerbe, ehrgeiziger, talentierter Nachwuchs. Es klingt bizarr, wenn ich, als 20jähriger, von den »Jungen« spreche, die auftauchen. Aber es gibt so viele 15-, 16jährige, die genauso hungrig, wie ich es war, in die Wettkämpfe einsteigen und nur ein Ziel haben: Erfolg. Gute Ergebnisse. Dafür ziehen sie buchstäblich in die Kletterhalle ein, um mehr und noch immer mehr trainieren zu können.
Wenn ich bei Gelegenheit sage, dass sich das Klettern in eine falsche Richtung entwickelt, dann verstehen mich meine Freunde sofort. Jorg und Kilian, Katharina, die Babsy Bacher, sie alle sehen die Wettkämpfe als Teil eines großen Ganzen, nicht als Selbstzweck. Wir schauen mit Vorbehalt auf die Eltern, die ihren Kindern – unseren Konkurrenten – die Sporen geben, damit sie einmal einen Weltcup gewinnen. Das ist nicht mehr das Klettern, wie ich es kennengelernt habe. Aber es ist das Klettern, das Schule macht.
Im Licht dieser Veränderungen wird Wettkampf zu Arbeit.
Wenn ich in die Halle klettern gehe, sage ich: »Ich gehe trainieren.«
Wenn ich am Fels klettern gehe, sage ich: »Ich gehe klettern.«
Ich mache da für mich einen Unterschied. Training ist dafür da, Ziele zu erreichen. Muss sein. Logisch. Ich muss auch trainieren, um meine Ziele beim Klettern am Fels zu erreichen. Aber ich muss mich auch fragen, wie viel es mir wert ist, beim Wettkampf gut abzuschneiden. Ganz vorne dabei zu sein.
Das soll nicht nach Ausrede klingen, denn natürlich will auch ich meine Arbeit gut erledigen. Das bin ich meinen Sponsoren schuldig, aber auch mir selbst. Wenn ich gut trainiert habe, weiß ich, dass ich bei jedem Wettkampf ins Finale kommen kann – und im Finale ist dann alles möglich. Außerdem bin ich stur. Wenn ich will, kann ich.
Ich setzte mir also in den Kopf, in China Weltmeister zu werden oder mindestens auf dem Podest zu stehen.
Bevor ich nach China flog, trainierte ich hart und konsequent. Ich fühlte mich gut. Ich ging gut vorbereitet auf die lange Reise. In Qinghai, im zentralen Norden Chinas, waren wir in einem Jugendsportheim untergebracht, eine halbe Stunde außerhalb des Zentrums. Qinghai ist eine Zumutung von einer Stadt. Häuser für eine Million Menschen auf einer Hochebene, wo nichts ist, gar nichts. Hochhäuser im Zentrum, eng gedrängte Wohnsilos rundherum. Riesige Supermärkte, die brutal in die Häuser hineinoperiert sind. Gestank. Dreck. Wilde Autobahnen mit tiefen Schlaglöchern, die von den Fahrern einfach ignoriert werden.
Wir waren schon eine Woche vor dem Wettkampf angereist, um uns zu akklimatisieren. Wir wussten, dass wir bei allem, was wir aßen und tranken, gut aufpassen mussten, denn die hygienischen Zustände in der riesigen Kantine, aus der wir verpflegt wurden, waren nicht besonders appetitlich.
In der Qualifikation lief alles nach Wunsch. Ich kletterte mit einer souveränen Leistung ins Halbfinale. Ich fühlte mich stark. Die Motivation war mächtig. Ich spürte sie wie einen Turbo, der mich die Wand hochschob.
Halbfinale und Finale wurden zwei Tage später ausgetragen. In diesen beiden Tagen wurde ich krank. Durchfall. Statt mich auf den großen Tag vorzubereiten, saß ich auf dem Klo.
Aber es hatte nicht nur mich erwischt. Das halbe Feld der Halbfinalisten fühlte sich
Weitere Kostenlose Bücher