High - Genial unterwegs an Berg und Fels
hatte.
»Wetter schlecht. Macht, dass ihr runterkommt«.
Absender: Florian von Red Bull.
Florian, Athletenbetreuer bei Red Bull und selbst ein Kletterer, hatte mich wie immer zum Weltcup begleitet und war nach dem Wettkampf mit einem Kollegen eine andere Tour gegangen. Er hatte sicher die neueste Wettervorhersage gehört, sonst hätte er uns nicht alarmiert. Florian war ein absolut verlässlicher Partner, der die Situation mit Sicherheit richtig einschätzte. Wir warfen also unsere Entscheidung um, denn so wie es aussah, wurde es eh nichts mit dem Sonnenaufgang. Lieber in der Nacht abseilen, solange das Wetter hält, als in der Früh, wenn’s grausig wird. Klang vernünftig, stellte sich aber als überflüssiges Nachdenken heraus: Denn am Ende waren wir nachts unterwegs, und das Wetter war so grausig wie nur irgendwas.
Wir seilen uns auf der anderen Seite des Gipfels über die Südwand ab und kommen auf einen Grat mit dem hübschen Namen Flammes de Pierre, Flammen aus Stein. Alles geht glatt, wir sehen sogar noch genug, um die Stirnlampen nicht einschalten zu müssen. In der Wand hängen bereits einige Schlingen früherer Seilschaften. Wir benützten jede, die wir erwischen, um ohne Zeitverlust abzuseilen. Nur wenn keine Schlingen in der Nähe sind, fackeln wir nicht lange und legen selbst welche. Langsam wird es wirklich dunkel. Es beginnt zu regnen und es dauert nicht lange, bis der Regen in Hagel übergeht.
Nach den Flammes de Pierre müssen wir noch rund 200 Meter abseilen, aber nicht weiter, denn darunter wartet eine 500 Meter hohe, spiegelglatte Wand, in der man weder vor noch zurück kann. Stattdessen gilt es, die Querung nach rechts Richtung Gletscher zu erwischen, über kleine Podeste, wo eines so ausschaut wie das andere. Der Weg ist schwer zu erkennen, und absolute Dunkelheit hilft beim Suchen einer versteckten Route auch nicht besonders.
Bald wissen wir nicht mehr, ob wir richtig unterwegs sind.
Wir wissen überhaupt nicht mehr, wo wir sind.
Die Stirnlampen beleuchten ungefähr hundert Meter, plusminus. Das reicht nicht in einer Wand, die ewig breit ist. Wir wissen, dass wir uns nicht zu weit abseilen dürfen, weil wir sonst ernsthaft in der Scheiße sitzen. Über ein Schneefeld, unter dem Wasser fließt, queren wir nach rechts, bis wir auf einem breiten Podest stehen, das etwa einen Meter breit ist und von dem es zwar nicht senkrecht, aber noch immer ziemlich steil in die Tiefe zieht. Beide sind wir ungesichert. Wir wollen das Seil abziehen und dann ein paar Meter nach rechts queren, wo wir den nächsten Abseiler erwarten.
Schräg über uns ein Felsturm. Ich bin gerade dabei, das Seil abzuziehen, als Jorg schreit: »Achtung, Stein!«
Wir sprinten blitzartig unter den Turm, so gut man halt nachts in einer Wand sprinten kann, dann kommt schon der Steinschlag. Ein Stein erwischt mich am Helm, ein schiaches Geräusch, ein anderer Stein kracht mir ins Kreuz und einer trifft den Pickel, der außen am Rucksack befestigt ist.
Scheiße. Mir tut das Kreuz weh, und ich habe meinen Helm noch gar nicht gesehen. Er hat einen Sprung, das will etwas heißen. Der Helm hält nämlich einiges aus. Aber ein faustgroßer Stein, der ein paar hundert Meter gefallen ist, bringt ganz schön Wucht mit.
Ich lausche in die Nacht. Nichts.
Nach dem Knurren und Husten des Steinschlags jetzt schaurige Stille. Nur der Regen rauscht.
Wir warten. Kommt etwas nach?
Blöde Frage, klar kommt etwas nach. Aber wann? Und wo? Ich wage mich zurück zum Seil, um es weiter abzuziehen, und durch puren Zufall kommen wir zurück auf die richtige Route – im Grunde haben wir zweimal etwas falsch gemacht. Wir haben sowohl das Wetter unterschätzt als auch den Abstieg. Aber die beiden Fehler ergänzen sich zu einem Glücksfall. Minus mal minus ist eben auch in den Bergen plus. Plötzlich sehen wir Steinmännchen und wissen, dass wir wieder richtig sind.
Langsam kommt der Gletscher in Blickweite. Im Lichtkegel der Stirnlampen sehen wir, wie zerfurcht er ist. Der Regen fällt auf den Fels und erzeugt einen beständigen Plätscherton, aus dem jeden Moment das Grollen und Schlagen fallender Steine herauswachsen kann. Das Stück Gletscher, das wir überqueren müssen, ist relativ kurz. Aber mit dem limitierten Licht der Stirnlampen trauen wir uns das nicht zu.
Wir sind inzwischen nass bis auf die Haut. Mein Rücken tut weh. Egal, wir müssen jetzt warten, bis es hell wird. Die Gefahr, in einer Gletscherspalte zu verschwinden, ist sonst zu
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