High - Genial unterwegs an Berg und Fels
Europameisterschaft.
Zwanzig
Ich blätterte im amerikanischen Klettermagazin Alpinist und sah das Foto einer Wand, die mir gefiel. Cerro Trinidad, Cochamó Valley, Chile, sagte die Bildunterschrift. Patagonische Anden, 1000 Kilometer südlich von der Hauptstadt Santiago de Chile. Nicht gerade um die Ecke, aber in mir erwachte ein Gefühl, das sagte: Fuzzy, diese Wand solltest du persönlich kennenlernen. Irgendwann musst du da hin.
Ich telefonierte ein bisschen rum. Jorg und Katharina hatten für Weihnachten einen Trip vor, aber sie wussten noch nicht, wohin. Sie wollten nicht Sportklettern gehen, sondern etwas Abenteuerliches machen, und als ich ihnen die Fotos von Cochamó durchschickte, waren sie sofort begeistert und sagten zu.
Cochamó ist kein altes Klettergebiet. Man klettert dort erst seit vielleicht zehn, fünfzehn Jahren. Dabei hat das Gebiet – jetzt einmal abgesehen von der Erreichbarkeit – durchaus das Potenzial, das Yosemite Chiles zu werden. Es sind etwa 50 Touren beschrieben, das heißt: Wer ein Herz für Erstbegehungen hat, wird in Cochamó auf seine Kosten kommen.
Wir recherchierten. Unterkunft, Transport, Verpflegung. Wir checkten den Flug von München nach Santiago de Chile, den Inlandsflug nach Puerto Montt an der Nordgrenze Patagoniens, den Bus, mit dem es von Puerto Montt in Richtung Klettergebiet weitergehen sollte.
Die anderen Weltcupkletterer hörten natürlich von unserem Plan. Zuerst fragten Babsy und Heiko, ob sie mitkommen könnten. Klar konnten sie. Zuletzt stieß noch Hansjörg Auer dazu.
Babsy arbeitet als Spenglerin und Glaserin. Sie ist eine vielseitige Kletterin, klettert Weltcups in Vorstieg und Bouldern, außerdem lacht sie viel. Wo sie ist, ist es lustig. Heiko ist ihr Freund. Er arbeitet als Coach des österreichischen Kletternationalteams, das er mit einem Kollegen mehr oder weniger allein schupft, außerdem ist er ein erstklassiger Fotograf.
Hansjörg aus dem Ötztal ist ein Alpinist, wie man sich einen Alpinisten vorstellt. Er hatte im selben Jahr etwas vom Spektakulärsten gemacht, was du dir nur vorstellen kannst: Er war in Südtirol den »Fisch« free solo geklettert. Der Fisch ist eine extrem glatte und anspruchsvolle Route in der Marmolada-Südwand, 37 Seillängen, bei denen du kaum etwas zum Anhalten findest. Hansjörg war die Route ohne Seil, also ohne Sicherung gegangen. Nichts für mich, aber auf jeden Fall: Respekt.
Der Flug war elend lang. In Puerto Montt, einer kleinen, bunten Stadt am Meer, rasteten wir uns erst einmal und kauften jede Menge Essen. Wir erkundigten uns, was man in Cochamó auf keinen Fall versäumen dürfe, und die Antwort war interessant: »Die Pumas.«
Heiko bekam sofort eine Gänsehaut.
»Du hast doch eine Machete, oder, Fuzzy?«
Stimmt, ich hatte mir in München in einem Outdoor-Ausrüstungsladen eine Machete gekauft – und ein Satellitentelefon. Allein das Satellitentelefon war so schwer, dass man damit einen Puma erschlagen konnte.
Außerdem erzählten uns die Typen noch von gefährlichen Spinnen und fleischfressenden Pflanzen, und schön langsam wurden die Gefahren so zahlreich, dass wir ihnen die Sache nicht mehr abkauften. Trotzdem konntest du echt zuschauen, wie dem Heiko die Farbe aus dem Gesicht fiel. Ich dachte mir, ich glaub das mit den Pumas erst, wenn ich den ersten sehe, und so war es dann auch. Weder Pumas noch Spinnen noch fleischfressende Pflanzen fielen über uns her – dafür umschwirrten uns ununterbrochen riesige Tabanus, beißende Fliegen, die uns mehr quälten, als es je ein Puma geschafft hätte.
Am nächsten Tag fuhren wir mit dem gecharterten Bus drei Stunden in die Wildnis. Die Straßen wurden immer schlechter, zum Schluss ratterten wir mit dem bemitleidenswerten Transporter über einen Weg aus Geröll und kamen zu einer Ranch, wo es Pferde gab. Wir entließen den Bus. Das Gepäck wurde auf die Pferde verladen. Wir marschierten los. Jeder von uns musste nur noch einen kleinen Rucksack tragen.
Wir marschierten stundenlang durch den Urwald. Über uns hing fett und üppig das tiefe, feuchte Grün der Vegetation. Es war gar nicht anstrengend zu gehen, aber alles war nass. Du wusstest nicht, ob du schwitzt oder ob die Luftfeuchtigkeit so hoch war – wahrscheinlich beides.
Heikler war die Frage, ob wir richtig am Weg waren. Alle versuchten ununterbrochen irgendwo eine Wand zu erspähen, aber nichts war zu sehen. Im Gegenteil, über uns wuchs das Grün zusammen, und wir sahen überhaupt nichts mehr von
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