High Heels im Hühnerstall
neunundfünfzig Pence stehlen und damit davonrennen. Doch höchstwahrscheinlich lag das, wie Sophie schlussfolgerte, daran, dass die Frau genau wusste, dass Sophie nicht hereingekommen war, um Nagellack, eine Packung durchsichtiges Pflaster, eine Nagelfeile, ein Haarnetz oder sonst irgendeinen der Artikel zu kaufen, die sie in den Händen hielt, sondern die Packung mit dem Schwangerschaftstest, die sie auf dem Regal immer wieder ansah, nach der zu greifen sie jedoch bislang nicht den Mut aufgebracht hatte.
Es war, wie Sophie wusste, für eine Frau ihres Alters und ihrer Lebensumstände albern. Sie war kein verantwortungsloser Teenager oder irgendeine Partymaus, die in einer Morgenshow auf das Ergebnis eines Vaterschaftstests wartete. Sie war eine Frau in den Dreißigern, überdies verlobt, mit einem Ring am Finger, der das bewies, auch wenn sie sich nicht ganz sicher war, wie die Sache mit ihrem Verlobten derzeit stand. Nach den modernen Maßstäben so gut wie aller Menschen war sie wahrscheinlich durchaus berechtigt, einen Schwangerschaftstest zu kaufen, ohne dass irgendjemand ihr das krummnahm.
Das Problem war, dass Sophie es sich selbst krummnahm. Falls ihre Mutter diesbezüglich recht haben sollte, dann hatte sie mehr als zwei Monate lang an sich keine Veränderung festgestellt. Dann stand sie im Begriff, Mutter zu werden, und hatte sich darüber in etwa so viele Gedanken gemacht wie ein Lemming, der sich von einer Klippe stürzt – und was sagte das über ihre Mutterqualitäten aus? Als die Mädchen damals in ihr Leben getreten waren, hatte sie Iris gegenüber das Fehlen jeglicher Muttergefühle bei sich beklagt. Von dem völligen Fehlen weiblicher Instinkte ganz zu schweigen, über die meist Frauen unentwegt sprachen und darauf hinwiesen, dass der weibliche Teil der menschlichen Spezies quasi übernatürliche Kräfte an den Tag legte, wenn es um den eigenen Nachwuchs ging. Iris hatte ihr erzählt, dass sie genauso viel mütterliche Instinkte besäße wie jede andere Frau und dass sie nur zuzuhören bräuchte. Dennoch war sie seit möglicherweise zwei Monaten schwanger, und sie hatte nichts gespürt. Nicht das geringste Flackern in ihrem Unterbewusstsein, das sie vor dem zwangsläufig das Leben grundlegend verändernden Augenblick in ihrem Dasein auf dem Planeten Erde gewarnt hätte. Und wenn sie etwas so Wichtiges nicht bemerkt hatte, das direkt mit ihrem eigenen Körper zusammenhing, dann verhieß das für die Zukunft nichts Gutes. Während sie vor den Hühneraugenpflastern stand und allem Anschein nach eine Vorteilspackung eines Mittels gegen das Nägelkauen studierte, hatte Sophie Babys vor Augen, die im Bus vergessen wurden, Kleinkinder, die um die Mittagszeit nach ihrem Frühstück verlangten und Fünfjährige, die sie daran erinnerten, dass es Zeit sei, zur Vorschule zu gehen. Sie würde eine fürchterliche Mutter sein – was wusste sie schon darüber, wie es war, Mutter zu sein?
In dieser Sekunde erwachte das Handy in ihrer Tasche zum Leben, was sie veranlasste, die eklektische Sammlung an Artikeln auf den Fliesenboden fallen zu lassen, woraufhin die Frau hinter der Theke seufzte, die Arme vor der Brust verschränkte und einen düsteren Blick auf ihre Uhr und dann auf die Plastikuhr an der Drogeriewand warf, nur für den Fall, dass ihr eigener Zeitmesser falsch ging.
»Entschuldigung«, sagte Sophie zur Frau hinter der Theke, während sie ihr Handy aus der Tasche fischte und den Namen Louis auf dem Display aufleuchten sah. Der Anblick des Namens ließ ihr Herz rasen, aber sie war darauf vorbereitet, dass auch jemand anderes am Telefon sein konnte, vielleicht Bella oder gar Wendy.
»Hallo?«, sagte sie und verfluchte insgeheim das Fragezeichen am Ende ihrer Begrüßung, das entweder als Widerwillen, mit ihm zu sprechen, oder als Hinweis darauf verstanden werden konnte, dass sie im Laufe einer knappen Woche ganz vergessen hatte, wer er war.
»Ich bin’s«, sagte Louis. Sophie spannte sich an; seine Stimme klang in ihren Ohren ausdruckslos und kühl.
»Ich weiß«, antwortete Sophie, während sie auf dem Boden herumtastete und versuchte, das Chaos zu beseitigen.
»Ist es okay, dass ich anrufe?«, fragte Louis gereizt. »Weil du gesagt hast, du würdest dich melden, aber das hast du nicht getan.«
»Ich habe angerufen«, erklärte Sophie, verzweifelt über ihre kühle Stimme. »Wendy ist drangegangen, ich hab dir eine Nachricht hinterlassen, dass du mich zurückrufen sollst, aber das hast du
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