High Heels im Hühnerstall
Tregowans Ehen den Schlüssel für das Verständnis ihrer eigenen Beziehung darstellten. Grace hatte so oft geheiratet, hatte so viele Liebhaber und Liebesbeziehungen gehabt, dass Sophie überzeugt war, es könnte ihr irgendwie helfen, ihre eigenen Gefühle zu verstehen.
»Nein, meine Liebe, nein«, antwortete Grace. »Und das war gut so, weil ich ihn sonst vielleicht nicht geheiratet hätte, und dann hätte ich die wunderbare Zeit mit ihm nicht erlebt.«
»Aber warum, warum hätten Sie ihn nicht geheiratet, wo Sie ihn doch so geliebt haben?«, wollte Sophie wissen. Grace überlegte.
»Ich hatte in meinem Leben bereits zu viele Menschen verloren. Ich glaube nicht, dass ich mich entschieden hätte, mit jemandem, den ich geliebt habe, zusammenzuleben, wenn ich gewusst hätte, dass ich ihn eines Tages verlieren würde – ich glaube, diese Wahl kann man unmöglich treffen. Aber so hat sich unser Leben nun einmal entwickelt, und ich bereue keine Minute.«
»Wie lange waren Sie mit William verheiratet, Grace?«, fragte Mrs Alexander. Sie nahm Sophies unberührtes und erkaltetes englisches Frühstück vom Tisch und ersetzte es durch einen Teller mit Toast, der dünn mit Butter bestrichen war.
»Du musst etwas essen, meine Liebe«, sagte sie und setzte sich zu ihren beiden verbliebenen Gästen an den Tisch.
»William und ich waren sieben Jahre verheiratet«, erzählte ihr Grace gelassen. »In den ersten drei Jahren ging es ihm prächtig. Er war der gleiche Mann, den ich unten an der Hafenmauer getroffen habe, ein wahrer Gentleman, ein echter Hengst. Wirklich der perfekte Mann.«
»Sie haben ihn einfach an der Hafenmauer aufgegabelt?«, fragte Sophie. »Wie irgendeine Städterin, die einen Typen aufreißen will?«
»Na ja, ich war gelangweilt«, antwortete Grace und zwinkerte ihr zu. »Damals habe ich allein gelebt, im Bungalow. Frank redete ständig auf mich ein, ich sollte ihn verkaufen und zu ihm ziehen, aber er war nur hinter meinem Geld her. Er wollte mich in irgendeinem verdammten Anbau an seinem Haus einsperren, während er und seine fürchterliche Frau auf meine Kosten durchs Mittelmeer kreuzten. Ich habe ihm gesagt, dass ich mich nicht alt fühle, dass ich nicht in einen Anbau eingemauert werden will. Mein Körper mochte ja aussehen, als käme er direkt aus Tutenchamuns Grab, aber hier drinnen fühle ich mich noch immer wie mit achtzehn.« Sie klopfte sich mit dem Handballen gegen die Brust. »Ich bin noch immer ein heißblütiges Mädchen, das auf Liebe und Abenteuer aus ist.«
»Sie haben das wirklich zu Frank gesagt?«, erkundigte sich Sophie. Warum sie selbst nie den Mumm aufbrachte, den Leuten zu sagen, was sie wirklich wollte, konnte Sophie sich nicht erklären. Aber aus irgendeinem Grund, war sie dazu verurteilt, nie zum Punkt zu kommen. Beispielsweise »Ich liebe dich« und »Übrigens, ich bin schwanger« zu sagen, schien besonders heikel zu sein.
»Na ja, er war schon immer spießig und so«, antwortete Grace. »Mit einem deutschen Vater, ohne jeden Humor. Damals lebte ich seit Jahren allein und hatte ein paar Affären, ihr wisst schon. Ich kann euch sagen, dieser Cribbage-Club im Gemeindezentrum ist ein Tummelplatz sexueller Begierden. Aber dort gab es keinen, der besonders war, und egal, wie viel Spaß Sex ohne jegliche Verpflichtung machen kann, ich bin trotzdem eine Frau. Ich wollte Romantik und Kameradschaft. Aber keiner, den ich dort getroffen habe, konnte mein Feuer wirklich entfachen, und wenn man einmal über sechzig ist, dann braucht es einiges, bis es geschürt ist, falls ihr wisst, was ich meine.«
»Du liebe Güte«, meinte Mrs Alexander und verdrehte zu Sophie gewandt die Augen, während sie ihre Tasse mit teeinfreiem Tee auffüllte. »Ich persönlich habe nie verstanden, wieso um das Thema Sex ein solches Aufsehen gemacht wird. Mr Alexander und mir war er gar nicht so wichtig.«
»Na ja, mir schon«, erwiderte Grace. »Mir war er sehr wichtig. Für mich ging es beim Sex darum, sich lebendig zu fühlen, lebendig zu sein. Die Wärme eines Männerkörpers auf deinem, seinen steifen Penis in dir zu spüren …«
»Okay.« Sophie hob die Hände. »Okay, lasst uns zu Mr Tregowan zurückkehren. Auf den Aspekt der Romantik und Kameradschaft. Sie haben ihn also an der Hafenmauer getroffen?«
»Ja.« Grace’ Lächeln war voller Zärtlichkeit. »Es war Anfang Frühling, aber trotzdem wirklich warm, obwohl es schon spätabends war. Der Himmel war wolkenlos, und die Sterne funkelten.
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