High Heels im Hühnerstall
jede Sekunde ihres Lebens mit ihm zu verbringen. Zumindest anfänglich, denn sie hatte herausgefunden, dass die Verliebtheit sie unter anderem deutlich weniger vernünftig und sachlich denken ließ. Sie war anfälliger für Gefühlsausbrüche, was dazu führen konnte, dass die Leute sie für verrückt hielten. Zum Glück hatte Carmen ihr die Chance gegeben, sich an den Gedanken zu gewöhnen. Nun konnte sie heiter und vernünftig reagieren, wenn Louis seine Frage stellte. Es würde zu keinem spontanen gekränkten Tränenausbruch kommen. Nein, ihre einzige Sorge sollte darin bestehen, während des Essens möglichst geistreich zu sein, mit geschlossenem Mund zu kauen, und sich zu fragen, ob Louis wohl in die Lücke zwischen den beiden Einzelbetten in ihrem Zimmer fallen würde, denn es war definitiv die Urlaubsreise, deretwegen er sie fragen wollte. Es konnte gar nicht anders sein: Die Ausgaben, die Heimlichtuerei und dass er die Mädchen um Erlaubnis gefragt hatte. Es war mit absoluter Sicherheit das Einzige, was er sie fragen konnte, redete Sophie sich ein.
»Ich sag Ihnen was.« Grace riss Sophie aus ihren Gedanken. »Dieser Ken Barlow. Den würde ich nicht von der Bettkante stoßen.«
Als der Bewegungsmelder flackernd ansprang, sah Sophie, dass Louis einen Anzug anhatte, was zwei Gedanken durch ihren Kopf schießen ließ: Erstens, ihr Freund sah in einem Anzug wirklich gut aus, und zweitens hatte sie gar nicht gewusst, dass er überhaupt einen besaß.
»Tja«, sagte Louis und blickte sich in dem schick und modern eingerichteten Alba um, während der Kellner den Wein einschenkte. »Schön ist es hier.«
Man hatte ihnen den besten Tisch des Hauses gegeben, auf der Empore vor dem raumhohen Fenster mit Blick auf den Hafen und das Meer. Draußen war es natürlich dunkel und stürmisch, und Sophie konnte selbst durch das Isolierglas das Wellenrauschen des nur wenige Meter entfernten Meeres hören und spüren. Die unheimliche Naturgewalt, die auf der anderen Seite der zentimeterdicken Scheibe toste, vermittelte ihr das Gefühl, den Elementen ausgeliefert zu sein. Vielleicht war es aber auch etwas anderes, das dieses Gefühl in ihr auslöste. Sie beschloss, sich nicht weiter damit zu beschäftigen.
»Ja, es ist wirklich schön«, pflichtete Sophie ihm bei, sie griff nach ihrem Glas und nippte daran, während sie aus dem Fenster schaute. Einen Augenblick starrte sie ihr maskenhaftes Spiegelbild an, eine blasse Version ihrer selbst, dann wandte sie den Blick ab. Sie war in der Tat sehr angespannt.
Beide studierten schweigend die Speisekarten, und Sophie lauschte dem Geräusch der Unterhaltung anderer Gäste. Allem Anschein nach hatte sich heute Abend ganz St Ives verabredet, und alle hatten etwas Lustiges und Faszinierendes zu erzählen.
Sag etwas, befahl sich Sophie. Los, sag etwas Geistreiches und Charmantes und Romantisches, das ihn zum Lächeln bringt und ihn dir diesen Blick zuwerfen lässt, den er hat, wenn er überlegt, wie er dich dazu bewegen kann, dass du dich ausziehst.
»Mrs Tregowan behauptet, dass Sex ein Lebenselixier ist«, platzte Sophie genau in dem Augenblick los, als alle anderen Gäste in dem gut besuchten Restaurant offenbar eine Pause einlegten, um zu trinken oder zu essen.
Louis schaute noch einen Augenblick auf die Speisekarte, dann sah er sie an. »Kein Wunder, dass ich so fit bin«, sagte er, und Sophie erkannte, dass er ein Schmunzeln unterdrückte, weshalb sie ihrerseits schmunzeln wollte.
»Tut mir leid«, sagte sie mit gesenkter Stimme und näher zu ihm gebeugt. »Ich wollte etwas Geistreiches und Kokettes sagen, und das ist dabei herausgekommen.«
Beide sahen sich über ihre Speisekarten hinweg an.
Jetzt sollte er etwas sagen, dachte Sophie, während sie ihm in die dunklen Augen blickte. Jetzt ist er an der Reihe.
Aber Louis sagte nichts, sondern betrachtete nur eingehend ihr Gesicht, als versuchte er, etwas darin zu entdecken. Schließlich setzte Sophie dem ein Ende, indem sie sich ihrer Speisekarte zuwandte. Als sie wieder aufschaute, sah sie, dass Louis konzentriert auf seine Speisekarte starrte, aber sie war sich fast sicher, dass er sie nicht wirklich las. Er überlegte. Was überlegte er? Ihr die Nachricht von einem Urlaub mit Freunden beizubringen, konnte doch nicht so schwierig sein. Es sei denn … Es sei denn …
»Ist alles in Ordnung?«, fragte Sophie trotz der Tatsache, dass Cal sie aus zuverlässiger Quelle informiert hatte, dass dies die zweitschlimmste Frage war,
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