High Heels im Hühnerstall
gegeben wurden. »Vier Ehemänner, das ist eine beeindruckende Zahl!«
»Tja, manche Frauen würden mich als Nimmersatt bezeichnen«, antwortete Grace und zuckte mit den schmalen Schultern.
»Sagen Sie mir«, bat Sophie, »haben Sie alle geliebt, oder waren drei davon Fehlgriffe, während Sie auf den Vierten warteten?«
»Ich habe sie alle geliebt, auf unterschiedliche Weise«, antwortete Grace schniefend. Sie verschränkte die Arme vor der Brust, als hätte sie gerade die Kälte der Vergangenheit gespürt. »Zum Beispiel Vincent, mein erster Mann. Ich habe ihn während des Krieges in Frankreich kennengelernt. Der Geheimdienst hatte herausgefunden, dass ich in Paris gelebt hatte, und hat mich nach Frankreich geschickt, weil ich die Sprache perfekt beherrschte. Drei Monate Ausbildung, dann setzten sie dich auf einem Feld mitten im Nirgendwo ab und sagten dir, du musst daran denken, dass du jetzt Claudette heißt. Vincent leitete die örtliche Résistancegruppe, er war erst zweiundzwanzig. Heutzutage ist das nichts, Ihre Generation benimmt sich bis zum Alter von vierzig Jahren wie Kinder und jammert über Verantwortung und Hypotheken …« Grace seufzte. »Vincent war erst zweiundzwanzig, ein Junge, der für die Freiheit seines Landes kämpfte, um sein Leben kämpfte. Er war so jung … so ernst und so verdammt gut aussehend, Sophie, Sie hätten ihn sehen müssen. Dunkle Haare, so dicht und lockig, dass man mit den Fingern nicht hindurchfahren konnte, geschweige denn mit einem Kamm, und Augen, so veilchenblau wie Lavendel am Wegesrand. Sie müssen versuchen, sich vorzustellen, dass wir ständig in Angst waren; stets lauerte der Tod. Wir sahen ihn, rochen ihn überall um uns herum. Wir sahen, wie unsere Freunde, Menschen, die wir liebten, umgebracht oder verschleppt wurden. Wenn man so lebt, ist es einfach, zu lieben – es ist schwierig, nicht zu lieben, denn wenn man liebt, weiß man, dass man noch am Leben ist. Und ich habe Vincent von ganzem Herzen geliebt. Wir hatten nicht geplant, zu heiraten, aber dann wurde ich schwanger. Und er war ein gut katholischer Franzose. Die Hochzeit fand um Mitternacht in einer Kapelle statt, aber sie war nicht rechtskräftig, weil ich seinen richtigen Namen niemals erfahren habe, und er nicht den meinen. Das hat für uns aber keine Rolle gespielt. Für uns war sie heilig.«
»Sie haben einen Mann geheiratet, dessen Namen Sie nicht kannten? Manchmal glaube ich, ich weiß so gut wie gar nichts über Louis, aber zumindest kenne ich seinen Namen. Das glaube ich jedenfalls.«
»Das war nicht wichtig«, erklärte ihr Grace. »Ich brauchte über ihn nicht mehr zu wissen, als dass er da war und sein Herz für mich schlug. Zuerst habe ich ihn immer wieder gebeten, mir seinen Namen zu sagen, aber das wollte er nicht, und er hat nie nach meinem gefragt. Ich war wütend auf ihn, aber dann wurde mir klar, dass er nur versuchte, mich zu schützen. Er hat mich nicht gefragt, weil er mich liebte. Deshalb hat der örtliche Priester sein Leben aufs Spiel gesetzt und uns getraut. Wir haben immer gesagt, dass wir nach dem Krieg richtig heiraten würden, aber ich glaube, wir wussten schon damals, dass es dazu nicht kommen würde, wir wussten, dass einer von uns es nicht schaffen würde. Ich versuchte, meine Schwangerschaft geheim zu halten, aber mein Vorgesetzter fand sie heraus und beorderte mich zurück. Das war 1944. Ich wollte Vincent nicht verlassen. Ich wollte unbedingt in Frankreich bleiben, auch mit dem Baby.« Grace ließ den Kopf sinken, und ihr Blick wanderte gedankenverloren über ihre von blauen Adern durchzogenen Hände. »An dem Abend, als ich mich von ihm verabschiedete, wusste ich bereits, dass ich ihn zum letzten Mal lebend sah. In der Dunkelheit hielten wir einander auf dem Feld, auf dem das Flugzeug gelandet war, das mich abholte, sehr lange umklammert, und er versprach mir, da zu sein, wenn das Baby zur Welt kommt.« Sie verstummte und blickte in die Ferne auf ein längst verlorenes, vom Mond beschienenes Gesicht.
»Aber er hat nicht überlebt?«, fragte Sophie atemlos.
»Er wurde in der folgenden Woche umgebracht. Von den Nazis erschossen«, antwortete Grace. »Es hieß immer, wenn man etwas hatte, wofür es sich zu leben lohnte, wenn man also Angst hatte zu sterben, dann geriet man in Schwierigkeiten, weil man zögerte und Fehler machte. Wie recht sie damit hatten!«
»Und das Baby ist dieser Frank?« Sophie meinte Mrs Tregowans ältesten Sohn, den sie nie kennengelernt
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