High Heels und Gummistiefel
richtigen Z eitpunkt, weil, ich war gerade aus einer echt schwierigen Beziehung ausgestiegen. Der totale Mick-the-Shit-Albtraum«, fügte er an Jules gewandt hinzu. »Seit Tagen hatte ich bei anderen Leuten auf dem Fußboden gepennt, hab praktisch unter der Brücke genächtigt. Aber jetzt habe ich dieses b ezaubernde Riesenzimmer, wo ich schlafe und Besuch empfange, und direkt daneben ist mein Studio, da arbeite ich. Es ist göttlich, man kann den ganzen Garten sehen.«
Ein Studio... das hieß atelier. Das war ja interessant. »Bist du Künstler?«, erkundigte sich Isabelle.
»Aber ja, Darling«, antwortete Chrissie ernst. »Wie ungeheuer scharfsinnig von dir, dass du das gleich gemerkt hast.«
»Chrissie ist Putzmacher«, sagte Jules zu Isabelle. Dann, als sie sah, dass sie noch immer nicht begriff, erklärte sie: »Er macht Hüte.«
»Hüte, Diademe, Kopfschmuck, alles, was mir unterkommt. Komm in mein Boudoir, Darling, dann zeige ich es dir, ich m erke doch, dass dich das interessiert. Also, lass mal sehen...«
In Wahrheit war Isabelle nicht im Mindesten interessiert, nachdem sie nunmehr erfahren hatte, dass Chrissie sich, genau wie Daisy, mit so etwas Nutzlosem und Frivolem wie Mode befasste. Was für eine Zeitverschwendung.
»Kannst du mir bitte mit meinem Zimmer helfen?«, warf sie verzweifelt ein, solange sie noch die Möglichkeit dazu hatte. »Ich würde gern meinen Koffer auspacken.«
Chrissie sah ein bisschen ernüchtert aus. »Ja, gewiss doch, gewiss doch.«
Glücklicherweise packte Chrissie ebenso schnell, wie er redete, und es dauerte nicht lange, bis Daisys Zimmer leer geräumt war. Dann ließ er Isabelle zu deren Glückseligkeit in ihrem neuen Heim allein: ein extrem geräumiges Zimmer, in das wahrscheinlich ihre ganze Pariser Wohnung hineingepasst hätte. Es hatte drei Bogenfenster, durch die sie den blauen Himmel und die Wipfel der Bäume im Garten sehen konnte. Es war richtig beschaulich. Sie beschloss, Daisys Schminktisch vor das mittlere Fenster zu rücken. Er hatte genau die richtige Größe für ihren Laptop und würde einen idealen Schreibtisch abgeben. Dann stellte sie ein gerahmtes Foto darauf, auf dem sie mit Clothaire und Agathe auf der Île de Ré am Strand saß. Letzten Sommer war das gewesen. Der Kleiderschrank enthielt jetzt ihre gebügelten Jeans und dunkelblauen Hosen, ein paar gerade geschnittene, knielange Röcke, Blusen in Pastelltönen, drei Pullover (grau, dunkelblau und beige), die unaufdringliche Baumwollstrickjacke von agnès b. (grau mit hübschen
Perlmuttknöpfen, ein Geschenk von Agathe), einen Regenmantel mit Gürtel und ein kleines Schwarzes.
Als Erstes würde sie morgen in die Bibliothek fahren und sich einen Ausweis besorgen, dann würde sie den ganzen Tag damit zubringen, das Bücherverzeichnis zu durchforsten. Von jetzt an hieß es Arbeit, Arbeit und noch mal Arbeit.
2
Daisy
Die Arme fest um den Oberkörper geschlungen, lag Daisy im Bett und lächelte. Sie war verliebt. Jeden Morgen erwachte sie mit einem Kribbeln im Bauch und wusste plötzlich wieder, wo sie war. Ganz Paris war unten und wartete auf sie. Die ersten paar Tage war sie einfach nur in seliger Trance von einem Geschäft zum nächsten gewandert, während die Namen all der Pariser Designer ihren Verstand leuchten ließen wie einen Weihnachtsbaum. Gelegentlich hatte sie einen Espresso nachgetankt, bevor sie sich von Neuem auf ihre Mode-Pilgerfahrt gemacht hatte. Morgens manövrierte sie sich in Isabelles winziges Bad, duschte vorsichtig (viel Ellbogenfreiheit gab es dort nicht) und lauschte den Geräuschen des Pariser Verkehrs unten auf der Straße. Dann brauchte sie Stunden, bis sie ausgehfertig war. Was sollte sie anziehen? Vielleicht das Teekleid aus den 30ern und die silbernen Sandalen mit Zehenloch? Genau das Richtige, um auf den Flohmärkten umherzustreifen. Oder vielleicht etwas weniger Ausgefallenes, falls sie Lust hatte, sich in das noble Bon-Marché-Kaufhaus zu stürzen – schmale Hosen aus smaragdgrüner Seide, mit Schmucksteinen besetzte Pantoletten, eine Pucci-Bluse und ihre riesige weiße Jackie-O-Sonnenbrille. Und dann das Make-up. Puder, Rouge, roter Lippenstift in unterschiedlichen Schattierungen, und i mmer sorgfältig aufgepinselter schwarzer Eyeliner, um ihr die Katzenaugen einer Rive-Gauche-Sirene zu verleihen.
An diesem Morgen, eine Woche nach dem Wohnungstausch, erwachte Daisy aufgeregt wie immer, allerdings hatte sie, wie sie
feststellte, auch ziemlichen Hunger. Sie
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