High Heels und Gummistiefel
vor ihrer Abreise nach Frankreich zustande gekommen, was hinsichtlich ihrer Finanzen eine feine Sache war. Damit konnte sie das bisschen, was ihre Eltern ihr an Geld gegeben hatten, die Miete, die sie von Jules und Chrissie bekam, und alles andere aufstocken, was sie sich mit ein wenig Freelance-Styling oder Schaufenstergestaltung dazuverdienen konnte. Nachdem sie eine Weile als hausinterne PR-Beauftragte für eine Designerin tätig gewesen war, hatte sie impulsiv beschlossen, dass sie eine Abwechslung von der Londoner Modeszene brauchte, ohne sich eigentlich allzu viele Gedanken um praktische Dinge zu machen. Tatsächlich ging Daisy normalerweise in dem Vertrauen durchs Leben, dass sich »schon irgendwas ergeben« würde, und so kam es für gewöhnlich auch.
Mit knurrendem Magen stieg sie die fünf Treppen zu der Wohnung hinauf. Als sie die Tür aufsperrte, erschrak sie heftig. Die Tür war nur zugezogen, nicht abgeschlossen, und sie war sich sicher, dass sie beim Hinausgehen den Schlüssel umgedreht hatte.
Ein Einbrecher? Daisy drückte die Tür auf und rief zaghaft: »Hallo?« Eine Frauenstimme antwortete: »C’est Daisy?« Ein Einbrecher würde nicht wissen, wie sie hieß, überlegte Daisy. Resolut marschierte sie in das mit Büchern vollgestellte Wohnzimmer, das Isabelle auch als Arbeitszimmer diente.
Eine fremde junge Frau, die an Isabelles Schreibtisch gesessen hatte, erhob sich, als sie Daisy erblickte, und streckte ihr die Hand entgegen.
»Hallo«, sagte sie. Sie sprach fließend Englisch. »Du bist bestimmt Daisy. Ich heiße Agathe, ich bin eine Freundin von Isabelle. Ihre beste Freundin.«
Agathe, stellte Daisy fest, war sehr schön, mit großen braungrünen Augen und langem, goldblondem Haar, das sie zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte, und das glänzte wie Glas. In Jeans und weißer Bluse sah sie unglaublich elegant aus. Mit einem kleinen Achselzucken lächelte sie Daisy an.
»Du fragst dich bestimmt, warum ich hier bin.«
»Na ja..,«
»Ich habe etwas hiergelassen, das mir gehört, und ich habe einen Zweitschlüssel für Isabelles Wohnung, für Notfälle. Ich wollte nur schnell meine Sachen holen. Das ist alles.«
»Oh, das ist schon okay. Aber...«
»Wirklich toll, was du da anhast!«, rief Agathe.
»Oh, danke.«
»Das ist sehr originell. Sehr folklorique.«
»Was ist das?«
»Das bedeutet traditionell, aus der Provinz. Du weißt schon, in der Bretagne zum Beispiel tragen die Frauen schwarze Kleider und so einen hohen weißen Kopfputz, und die Männer spielen alte Instrumente.« Anmutig tat sie so, als drehe sie eine Kurbel. »Und sie singen Lieder auf patois.«
»Was ist denn patois?«
»Das ist der dortige Dialekt.«
Eine Pause entstand, dann kniff Agathe die Augen zusammen und fragte, was Daisy sich denn da an ihre Bauernbluse gesteckt hätte.
»Ach, das. Das ist meine Herzbrosche. Absoluter Ramsch, aber ich finde sie toll. Wie sie einen anblitzt, irgendwie 3-D-mäßig, wie diese Kitschpostkarten. Siehst du?«
Sie schüttelte sich ein wenig, um es zu demonstrieren. Agathe, die eine zarte Perlenkette trug, nickte. Ihre Miene war völlig neutral.
»Die hat mir mal vor ein paar Jahren mein damaliger Freund geschenkt, als Witz«, erklärte Daisy.
»Er ist nicht mehr dein Freund?«
»Oh nein! Ehrlich gesagt hat sich seitdem herausgestellt, dass er total schwul ist. Mode, du weißt ja. Im Augenblick bin ich Single.«
Agathe lächelte mitfühlend. »Also, ich gehe heute Abend auf eine Party. Möchtest du mitkommen?«
»Oh ja! Vielen Dank, das wäre super!«
»Viele von Isabelles Freunden werden da sein. Sie sind alle sehr neugierig und möchten dich gern kennenlernen.«
Agathe ging und versprach, später anzurufen, um eine Zeit auszumachen. Als sie allein war, hüpfte Daisy zunächst vor Aufregung durch die Wohnung, dann nahm ihr Gesicht einen ernsteren Ausdruck an. Sie setzte sich, kramte ihr Handy hervor und tippte eine SMS an Chrissie: »MODE-NOTDIENST ALARM SOS.« Mittlerweile müsste er wach sein.
Tatsächlich piepste ihr Handy fast augenblicklich. »ICI LE MODE-NOTDIENST. WIE KANN ICH DEINE FABELHAF-TIGKEIT FÖRDERN?«
»HEUTE PARTY IN PARIS. WAS ZIEHE ICH AN?«
»OH DARLING DAS IST EIN CODE. KREISCH. WESSEN PARTY? DESIGNER?«
»NUR EINE FREUNDIN VON ISABELLE«, tippte Daisy zurück. Dann hatte sie eine Idee. »SIE UM TIPPS BITTEN?«
»ACH MEIN LIEBSTER SCHATZ NEIN«, kam die Antwort.
»WARUM NICHT?«
»ISABELLE ++SÜSS ABER KEIN MODEGURU. LEHNT MEINE HÜTE AB.
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