Highland-Saga 03 - Schild und Harfe
seinen Haaren und brannte auf seinem Rücken. Er spuckte aus. Ein Gesicht hob sich aus der Menge der Neugierigen ab: Roderick Campbell grinste ihm bösartig zu.
Der Offizier stellte sich vor ihn und hob mit dem Ende seines Stabs sein Kinn an, um ihn prüfend zu betrachten. Nachdem er zu der Ansicht gelangt war, dass er sich ausreichend erholt hatte, befahl er, die Urteilsvollstreckung fortzusetzen. Erneut hallte die Trommel dröhnend in Alexanders Kopf wider.
»Einhunderteinundzwanzig!«
Mit fest zusammengebissenen Zähnen zählte der junge Mann lautlos mit, entschlossen, seinem Namen und seinem Volk Ehre zu machen… Man sollte Duncan Coll Macdonald von Glencoe nicht berichten, dass sein Sohn unter der Peitsche der Engländer schwach geworden war! Mut lernt man, indem man sich seinen Ängsten stellt und seinen Schmerz erträgt … Wie oft in seinem Leben hatten ihm diese Worte schon über eine Prüfung hinweggeholfen?
Der Mondschein spiegelte sich auf dem polierten Holz des Cembalos. Im Zimmer war es dunkel. Isabelle ließ ihre Finger über die vergilbten Elfenbeintasten huschen und spielte aus dem Gedächtnis eine französische Suite von Bach. Doch die Musik vermochte den Lärm der Bomben, die jetzt seit siebenundzwanzig Tagen in der Stadt einschlugen, nicht zu übertönen.
Abrupt verstummte das Cembalo. Die junge Frau schniefte und zog ihr Taschentuch hervor, um sich die Augen zu trocknen. Es kam ihr vor, als würde dieser Krieg nie zu Ende gehen. Sie würden alle sterben. Das Unglück suchte diese Stadt heim, die ihr so teuer war und wo es sich zuvor so angenehm hatte leben lassen. Was war davon heute noch übrig? Nichts als Trümmer. Ein paar halb zusammengebrochene Mauern, welche die Engländer immer weiter bombardierten, bis sie dem Erdboden gleich sein würden.
Isabelle sah auf ihre Finger hinunter und strich über die Tasten des kostbaren Cembalos, das ihr Vater ihr aus Frankreich mitgebracht hatte. Würde es ebenfalls zu Asche zerfallen? Nachdenklich schloss sie den Deckel und stand auf. Die Nacht senkte sich über das Haus und warf ihren dunklen Schatten bis in alle Winkel. Aber sie brachte nicht mehr die gewohnte Stille mit, denn die existierte nicht mehr. Diese fast vollständige Abwesenheit von Geräuschen, die ihr als Kind solche Angst eingejagt hatte, fehlte ihr jetzt merkwürdigerweise.
Aus einiger Entfernung drang Perrines Lachen zu ihr und holte sie in die Wirklichkeit zurück. Sie betrachtete ihren Vater, der in seinem Sessel schlief. Auch Museau war vor dem erloschenen Kaminfeuer eingeschlummert. Ihre Mutter, Ti’Paul und Sidonie waren bereits zu Bett gegangen. Vielleicht sollte sie sich ebenfalls hinlegen? Madeleine würde sicher erst in der Morgendämmerung zurückkehren. Sie war vor einer Stunde ausgegangen, um sich mit Julien zu treffen, dem es gelungen war, sich aus dem Lager zu schleichen … Doch die Aussicht, schlafen zu gehen, erschien Isabelle nicht besonders verlockend. Zärtlich küsste die junge Frau ihren Vater, der sich nicht rührte. Seit einiger Zeit kam er ihr so erschöpft vor. Sein früher aschblondes Haar war von Grau durchzogen und lichtete sich oben auf dem Schädel. Ausgerechnet er, der nie viel von Perücken gehalten hatte, musste sich jetzt damit abfinden, eine zu tragen. Als sie ihn liebevoll damit aufgezogen hatte, da hatte er nicht mit ihr gelacht … Überhaupt war er nur noch selten in aufgeräumter Stimmung.
Ein durchdringender Gestank nach Ruß und Asche hing in der Luft. Mehrmals hatten Brandgeschosse verschiedene Teile der Stadt verwüstet. Das hatte Mitte Juli begonnen. Damals war das Haus von Monsieur Chevalier in der Unterstadt getroffen worden und anschließend in Flammen aufgegangen. Das Feuer hatte sich rasch ausgebreitet und zahlreiche Häuser in diesem Viertel zerstört. Die Kirche Notre-Dame-des-Victoires und ihr Pfarrhaus waren nur noch eine Ruine. Père Recher hatte in das Saint-Jean-Viertel vor den Stadtmauern ziehen müssen. Dort hatte er in einem Haus, das ein Gemeindemitglied großzügig zur Verfügung gestellt hatte, provisorisch eine Kapelle eingerichtet.
Dann war das Ursulinen-Kloster getroffen worden. Das Gebäude war unbewohnbar geworden, und die Nonnen hatten sich zu den Augustinerinnen ins Hospital flüchten müssen. Was das Priesterseminar anging, so waren nur noch die Küchen nutzbar. Eine Woche später waren die Häuser an der Coté de la Fabrique in Rauch aufgegangen. Die entsetzten Anwohner hatten mit ansehen müssen,
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