Highland-Saga 03 - Schild und Harfe
wusste es nicht, aber zumindest hatten sie nur sehr wenige Tote zu beklagen … jedenfalls bis jetzt.
Der August hatte nichts als Zerstörung gebracht. Während die Milizionäre aus den Lagern an der Verteidigungslinie in Beaumont flohen, verwüsteten die Engländer auf beiden Ufern die Dörfer, die flussabwärts von Québec lagen. Bei klarem Wetter sah man eine dicke Rauchwolke über dem Fluss hängen. Ohne Unterlass gingen Schreckensgeschichten um und belebten das Gespräch beim Abendessen. Die neueste handelte von dem Massaker von Saint-Joachim. Der dortige Geistliche, Père René de Portneuf, war zusammen mit acht Milizionären gefangen worden. Man hatte die neun Männer grausam umgebracht, skalpiert und auf dem Kirchenvorplatz liegen gelassen. Anschließend war das ganze Dorf in Flammen aufgegangen. Auch die Menschen in Château-Richer und Sainte-Anne-de-Beaupré hatten sich ihrer Felder, ihrer Scheunen und ihrer Lagerhäuser beraubt gesehen, in denen sie die wenigen Vorräte, die ihnen für die kommenden Monate geblieben waren, aufbewahrt hatten. Isabelle war verzweifelt. Oft fuhr sie bei Nacht aus dem Schlaf hoch, weil sie glaubte, das Weinen verängstigter Kinder und die Schreie von Müttern zu hören, die vor mit Fackeln bewaffneten Rotröcken flüchteten. Doch nach einer Weile wurde ihr klar, dass sie selbst geschrien hatte.
Wie sollten sie alle den bevorstehenden Winter überleben? Ganz wie ihr Bruder Louis so schön gesagt hatte, war Hunger kein guter Ratgeber. Die Stadtbewohner handelten lieber mit dem Feind, als ihre Nahrungsmittel von der französischen Armee konfiszieren zu lassen. Es gab kein Mehl und kein frisches Fleisch mehr. In den Lagern hatte man das Brot durch Alkohol ersetzt, um die Männer den Hunger vergessen zu lassen. Skorbut drohte.
Inzwischen hatten sie September. Rasch überschlug Isabelle die Zeit: Seit mehr als siebzig Tagen wurden sie nun schon belagert. Die Engländer schienen ihre Beute nicht aus den Klauen lassen zu wollen. Wenn die Einwohner von Québec noch lange aushielten, würde der Feind sich vielleicht wieder einschiffen müssen, um nicht im Winter hier festzusitzen. Aber wenn die Engländer die Stadt vor dem ersten Schnee eroberten? Vielleicht würden die zu erwartenden Entbehrungen dann nicht ganz so schlimm ausfallen, und es gäbe ein wenig mehr zu essen …
Die junge Frau nahm ihren leeren Einkaufskorb, klopfte sich ihren schmutzigen Rock ab und erhob sich mit einem langen, erschöpften Seufzer. Ein eigentümliches Gefühl trieb sie seit einigen Tagen um: Hoffte sie etwa auch, so wie diejenigen, die mit dem Feind Handel trieben, dass Letzterer all das beendete und sie erlöste, indem er den Krieg gewann? Viel zu erobern gab es allerdings nicht mehr… Bei diesem Gedanken lachte sie verbittert auf. Wenn die Engländer unbedingt einen Haufen Ruinen einnehmen wollten, nur zu! Denn etwas anderes würden sie nicht bekommen.
Sie wandte sich zum Fluss, der vom Ende der Rue Sainte-Famille aus zu sehen war. Der Sonnenuntergang überhauchte die Wolken blutrot und warf goldene Strahlen über das noch feuchte Straßenpflaster. Von dem Ruß, der an allen Schuhen klebte, hatte sich ihr Rocksaum pechschwarz gefärbt.
Zwei Männer kamen die Rue De Buade hinauf, Milizionäre. Isabelle flüchtete sich in das verlassene Kirchenportal. In diesen Zeiten waren die Straßen nicht mehr sicher. Die meisten Stadtbewohner hatten ihre Häuser verlassen, und die wenigen Passanten waren Soldaten oder Milizionäre, die möglicherweise auf der Suche nach Beute waren. Es hatte schon mehrere Fälle von Vergewaltigung gegeben. Gerade heute Morgen hatte man einen Soldaten gehängt, der dieses Verbrechens angeklagt war.
Doch die beiden Männer gingen ihres Weges, ohne sie zu bemerken. Sie wartete noch ein paar Minuten. Dann war auf der Straße Hufgetrappel zu hören. Sie wich ein wenig weiter in den Schatten zurück. Ein Reiter tauchte auf dem Großen Platz auf und hielt vor der Kathedrale an. Isabelle spürte, wie ihr Herzschlag sich beschleunigte, und sie blinzelte, um ganz sicherzugehen, dass sie richtig sah. Ja, das war er! Sie ließ ihren Korb auf die Stufen fallen und rannte ihm entgegen. Als Nicolas die junge Frau erblickte, die auf ihn zulief, stieg er vom Pferd und breitete die Arme aus.
Ihre Hände suchten einander, ihre Lippen trafen sich. Isabelle legte den Kopf an die Brust ihres Liebsten und dankte dem Himmel für dieses unerwartete Geschenk. So verharrten sie lange Minuten
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