Highland-Saga 03 - Schild und Harfe
wusste, dass Coll sich direkt unter ihm befand, doch er hatte seinen Cousin Munro aus den Augen verloren. Inzwischen fiel ein leichter Regen. Das Gewehr quer über den Rücken gehängt und den Dolch zwischen den Zähnen, hielt er sich an Wurzeln, Grassoden und scharfen Felsvorsprüngen, die unter seinen Fingern zerbröselten, fest. Der Aufstieg verlief in tiefstem Schweigen; davon hing ihr Leben ab. Die einzigen Geräusche waren das Gurgeln eines Bachs und der dumpfe Fall von Steinen, die sich von der Felswand gelöst hatten.
Einige Männer hatten jetzt den Gipfel erreicht, wo ein weiterer französischer Wachtrupp postiert war. Laute Stimmen ließen sich vernehmen, Schüsse wurden abgefeuert. Die Milizionäre schrien vor Verblüffung über den Angriff auf und gaben Fersengeld, und die Engländer setzten ihnen nach. Seit ihrer Landung waren nur zehn Minuten vergangen.
Die Soldaten bezogen vor den Mauern von Québec Stellung. Alexander drang in ein Weizenfeld ein, das sich sanft im Wind wiegte, und musterte den immer heller werdenden Horizont. Der Regen hatte aufgehört. Nicht weit entfernt verlief eine Straße. Sie führte direkt zu einem der Tore dieser Stadt, die er von Point Levy aus schon so oft bewundert hatte. Weiter vorn verbarg zu ihrer Linken ein Wald einen Teil der Befestigungen. Am Rande der Straßen lagen hier und da Bauernhöfe, Mühlen und Häuser. Rechts von ihnen, direkt vor den Bastionen neben dem Steilhang, schloss sich eine baumbestandene Ebene an die Höhen an.
Vorsichtig, unter den Schüssen französischer Kundschafter, rückten sie vor. Eine von den Matrosen heraufgeschaffte und gezogene Kanone war soeben eingetroffen und wurde zwischen Alexanders Regiment und dem 58. von Anstruther in Stellung gebracht. Weniger als drei Stunden nach der Landung der ersten Männer nahm ein Bataillon von viertausendachthundert Soldaten, die unter dem Union Jack dienten, in zwei Linien Aufstellung und richtete die Waffen auf die Hauptstadt Neufrankreichs.
Ein unbeschreiblicher Lärm riss Isabelle aus dem Schlaf. Noch ganz in einem Traum gefangen, in dem Nicolas sie leidenschaftlich küsste, fuhr die junge Frau hoch und setzte sich im Bett auf. Mado lehnte sich aus dem Fenster.
»Was ist los?«
Ihre Cousine drehte sich um. Ihr Gesicht wirkte genauso weiß wie ihr Nachthemd.
»Ich bin mir nicht sicher, Isa, aber ich glaube, etwas Schlimmes ist geschehen! All unsere Soldaten rennen zum Saint-Jean-Stadttor!«
Es klopfte an der Zimmertür. Ohne auf eine Aufforderung zu warten, stürzte Perrine wie ein Wirbelwind herein, ganz zerzaust und mit hochstehenden Haaren.
»Die Engländer sind gelandet! Sie haben ihre Fahne auf den Höhen gehisst! Kommt, sucht Eure Kleider zusammen, beeilt Euch!«
So schnell, wie sie aufgetaucht war, rannte sie wieder davon und ließ die beiden jungen Frauen verdattert zurück.
»Verflucht!«, meinte Madeleine.
»Die Engländer? Hier?«, murmelte Isabelle ungläubig. »Aber Nicolas hatte mir doch erklärt, dass …«
»Dann hat er sich eben geirrt. Zieh dich an, Isa. Darüber kannst du später nachdenken.«
So wie alle übrigen Stadtbewohner, die geblieben waren und den feindlichen Geschossen, die seit über zwei Monaten fielen, getrotzt hatten, lief die Familie Lacroix mit ihren Dienstboten auf die Straße und watete jetzt unter einem grauen Himmel durch die Schlammpfützen. Die Soldaten aus Beaumont durchquerten die Stadt, um sich zu den Höhen zu begeben. Isabelle bahnte sich einen Weg durch die aufgeregte Menge. Sie hoffte, Louis, Étienne und Guillaume zu sehen, aber vor allem hielt sie nach Nicolas Ausschau. Die schmutzig weißen Uniformen mit den verschiedenfarbigen Tressen zogen an ihr vorüber. Sie sah die langen grauen Uniformröcke des Freikorps der Marine. Des Méloizes marschierte an der Spitze seiner Kompanie. Sie winkte und rief ihn an. Der junge Mann wandte sich zu ihr um und lächelte schwach.
»Gott schütze dich«, flüsterte Isabelle, als er ihren Blicken entschwand.
Dahinter kamen die zerlumpten Milizionäre mit ihren Wollkappen, und dann die Indianer, die ihr Haar mit Federn geschmückt und ihre Kriegsbemalung aufgelegt hatten und schreiend ihre Tomahawks schwangen.
Schließlich erblickte sie General Montcalm auf seinem schwarzen Ross. Er warf sich in die Brust und trug den Kopf hoch, doch er strahlte eine solche Trauer aus, dass der jungen Frau das Herz schwer wurde. Ihre Sorge wuchs. Eine Hand legte sich auf ihre Schulter; an der Berührung
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