Highland-Saga 03 - Schild und Harfe
die darüber sogleich vergaß, ihren Fichu zu richten.
»Ah, Cousine! Es tut mir leid, dass ich so spät komme. Ich habe verschlafen. Wie steht es heute bei den Verwundeten?«
»Ach, nicht besser und nicht schlechter als gestern. Jede Stunde sterben welche. Die Gefangenen aus unseren Regimentern hat man im Morgengrauen weggebracht.«
»Oh! Aber ich wollte einen der Verwundeten besuchen, einen Fähnrich. Er heißt Michel Gauthier und noch etwas, woran ich mich nicht mehr erinnere. Er gehörten zu den Freikompanien der Marine.«
»Sie sind alle fort, Isa. Man hat sie auf englische Schiffe geschafft.«
Enttäuscht biss die junge Frau sich auf die Lippen. Sie hätte den Offizier gern wiedergesehen und sich nach seinem Befinden erkundigt.
»Wohin bringt man sie?«
»Nach Frankreich, glaube ich.«
Die Erwähnung der französischen Soldaten erinnerte Isabelle an den Brief, den sie tief in ihrer Rocktasche trug. Die Strenge der Vorsteherin hatte ihr jede Lust genommen, sie um Hilfe zu bitten. Aber sie konnte sich an ihre Cousine wenden. Sie kramte in ihrer Tasche und zog das Papier hervor.
»Ich würde das hier gern Nicolas zukommen lassen… ähem … Monsieur des Méloizes, meine ich.«
»Pssst!«
Die Nonne sah sich in alle Richtungen um.
»Du bist ja verrückt, Isa! Wenn einer der Engländer erfährt, dass du versuchst, Kontakt zur französischen Armee aufzunehmen … Man würde dich für eine Spionin halten!«
»Es ist nicht so, wie du glaubst. Das sind nur ein paar … sagen wir, freundschaftliche Zeilen.«
Schwester Clotilde krauste ihre kleine spitze Nase und riss dann die Augen auf.
»Du meinst, dass … Monsieur des Méloizes dein Verehrer ist?«
Isabelle lächelte.
»Oh! Na, also so etwas! Ist es schon offiziell? Du hast wirklich Glück, Isa!«
Die junge Frau zuckte die Achseln. Selbst war sie sich nicht mehr so sicher. Gewiss, sie liebte Nicolas. Aber … liebte sie ihn genug, um ihm diesen Seitensprung zu verzeihen, falls sich die Gerüchte tatsächlich als wahr erweisen sollten?
»Ich weiß. Im Moment habe ich mich noch nicht entschieden. Aber ich würde gern wissen, wie es ihm geht, verstehst du? Könntest du ihm diesen Brief irgendwie zukommen lassen?«
Schwester Clotilde nahm das Papier von Isabelle entgegen und steckte es in ihre Tasche.
»Ich werde sehen, was ich ausrichten kann. Vielleicht, wenn Bigord das Holz holen kommt … nun gut, ich bitte ihn darum. Er wohnt nicht weit entfernt vom Lager des Chevalier de Lévis. 45 «
»Danke.«
»Im Moment wissen wir über unsere Truppen nur, dass sie sich in die Lager in Beauport zurückgezogen haben. Aber angesichts all dieser … Engländer, die sich in der Nähe aufhalten, werden sie nicht lange dort bleiben können. Nun, da unser teurer General tot ist …«
»Papa sagt, dass es keine Hoffnung mehr gibt.«
Die Ordensfrau sah sich misstrauisch um.
»Ich bin mir sicher, dass sie uns nicht im Stich lassen, Isa. Wir müssen abwarten.«
»Abwarten… Aber was können wir uns jetzt schon noch erhoffen?« , murmelte Isabelle und sah zerstreut einen Offizier an, der gerade das Zimmer, in dem Ti’Pauls Retter lag, verließ.
Der große, schlanke Mann trug genauso einen Rock wie der verletzte Soldat. Dann war er sicherlich ebenfalls Schotte. Er hielt sich stocksteif und disputierte jetzt mit einem Soldaten aus einem anderen Regiment, wobei er ab und zu seine sorgfältig frisierte Perücke schüttelte. Wahrscheinlich fühlte er sich beobachtet, denn er drehte sich zu ihr um und sah sie mit undeutbarer Miene an. Dann schenkte er ihr ein recht charmantes Lächeln, verneigte sich und ging davon.
»Hat er heute Morgen etwas gegessen?«, fragte die junge Frau abrupt und wandte ihre Aufmerksamkeit erneut der Nonne zu.
»Was? Wer?«
»Der schottische Soldat mit der Halswunde.«
»Ich weiß es nicht …«
»Er wird sterben, wenn er nichts isst.«
»Ich weiß. Und ich bin mir sicher, dass er sich dessen ebenfalls bewusst ist, Cousine. Mach dir keine Gedanken, er…«
»Ich gehe in die Küche.«
Isabelle ignorierte die vorwurfsvolle Miene der Schwester und verschwand um eine Ecke. Ihre Absätze klapperten auf dem Holzboden.
Der Chirurg untersuchte einen Mann, der neben dem Schotten lag. Er inspizierte das Weiße seiner Augen und seine Fingernägel, fühlte seinen Puls und überprüfte seine Temperatur. Kopfschüttelnd zog er dann die Decke bis ans Kinn des Verwundeten hoch, dessen Hautfarbe keinen Zweifel daran ließ, dass er bald
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