Highland-Saga 03 - Schild und Harfe
sterben würde. Isabelle wandte sich ab und sah den Soldaten an, der neben ihr lag und ihr den Rücken zudrehte. Sein Oberkörper war nackt, und seine Schulter schaute unter dem Laken hervor, mit dem er zugedeckt war. Aus einigen krampfhaften Zuckungen zog sie den Schluss, dass er wohl träumte. Eine Suppenschale in den Händen, zögerte sie noch.
Sie schloss die Augen und konzentrierte sich auf die Wärme und den guten Duft, der aus dem Fayence-Gefäß aufstieg. Warum versteifte sie sich so darauf, diesen Mann zum Essen zu bewegen? Was tat sie ihm damit Gutes, wenn er unbedingt hungers sterben wollte? Trotzdem würde sie einen letzten Versuch machen. Das war sie ihm schuldig. Bei dem Gedanken, was dieser Mann für ihren Bruder getan hatte, erinnerte sie sich mit einem Mal daran, dass sie seinen Dolch mitgebracht hatte.
Isabelle setzte die Schale auf den Boden, schob, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass niemand in ihre Richtung schaute, ihre Röcke hoch und zog die Waffe hervor, die sie unter ihr Strumpfband gesteckt hatte. Noch einmal bewunderte sie den Dolch. Das Holz des Griffs war durch den Gebrauch poliert worden, und das trug noch zu der Schönheit der Schnitzarbeit bei. Der Künstler, der dieses wunderbare Werk gestaltet hatte, musste jemand sein, der ein großes Herz und eine gewisse Weisheit besaß. Sie legte die Klinge auf das karierte Tuch, mit dem der Mann am Tag der großen Schlacht bekleidet gewesen war. Mit den Fingern strich sie über den Wollstoff: Er war rau wie das selbst gewebte Tuch, das die weniger wohlhabenden Einwohner von Neufrankreich trugen. Woher wohl diese außergewöhnliche Tracht stammte?
Ihr Blick fiel auf die kleine, mit Schnüren verschlossene Lederbörse, wie sie die Schotten am Gürtel trugen. Am Ende jeder Schnur baumelte eine beinerne Kugel, in die Motive, die denen auf dem Heft des Dolches ähnelten, geschnitzt waren. Die junge Frau fand, dass sie sehr hübsch aussehen würden, wenn man sie um den Hals trug. Sie nahm den Beutel und betrachtete ihn genauer. Er war ziemlich schwer. Mit den Fingerspitzen tastete sie nach dem Inhalt und erspürte einen runden, flachen Gegenstand, der ihre Neugierde anstachelte. Sie sah zu dem Schläfer und schaute sich dann um: Niemand achtete auf sie. Obwohl sie genau wusste, dass das nicht recht war, durchwühlte sie dann das Täschchen.
Ihre Finger trafen auf einige Geldstücke und andere kleine Dinge. Dann stieß sie auf das runde, flache Objekt. Es war glatt und kühl … eine Uhr. Sie zog sie heraus. Das Schmuckstück war aus Vermeil hergestellt, doch die Zeit hatte einen Teil der Vergoldung abgetragen und das polierte Silber freigelegt. Falls sie einmal eine Gravur besessen hatte, dann war diese längst verblasst. Die Uhr tickte noch. Isabelle drückte auf den Mechanismus, der sie öffnete. Das schützende Glas war gesprungen, aber die Uhrzeit war noch perfekt abzulesen. Im Inneren des Deckels stand ein Schriftzug: Iain Buidhe Campbell . Was für ein seltsamer Name … Ob er so hieß? Falls er die Uhr nicht gestohlen hatte, denn für einen einfachen Soldat war dies ein Gegenstand von großem Wert.
Während sie die Uhr zurücklegte, stießen ihre Finger auf etwas anderes, das sie ebenfalls herauszog; eine Miniatur, die an einer Silberkette hing. Ein von braunem Haar eingerahmtes Frauengesicht lächelte ihr entgegen. Seine Gattin? Peinlich berührt über die Indiskretion, die sie sich geleistet hatte, steckte sie das Medaillon rasch in die kleine Tasche und zog die Schnüre wieder zu.
Stoff raschelte. Sie hob den Kopf und begegnete dem Blick des Fremden. Erschrocken ließ sie den Beutel aus den Händen gleiten. Rasch fing sie ihn in ihren Röcken auf und legte ihn wieder auf das karierte Tuch. Verwirrt, mit hochroten Wangen, vermochte sie sich doch nicht von den blauen Augen loszureißen, die sie ansahen… Sie waren blau wie ein herbstlicher Himmel oder ein ruhiges Meer. Saphirblau … geheimnisvoll und betörend … Der Körper des Mannes wirkte ein wenig derb, aber in seinem Blick lag eine Sanftheit, mit der sie ganz und gar nicht gerechnet hatte.
Alexander beobachtete die junge Frau. Dieses Gesicht… er hatte es schon in einem seiner Träume gesehen. Sie stammelte Worte, die er nicht ganz verstand. Und diese Stimme … die hatte er schon einmal gehört… Er war sich nicht mehr sicher; die letzten Tage kamen ihm vor wie ein böser Traum, aus dem er jetzt erwachte. Er rückte ein wenig auf seinem Lager herum, und der
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