Highland-Saga 03 - Schild und Harfe
Fensterläden geschlossen, damit die Morgensonne nicht eindrang. Nur ein paar fast heruntergebrannte Kerzen erhellten das Zimmer. Im Moment war Françoise in einen leichten Schlummer gefallen und gönnte ihnen allen eine kleine Atempause. Dumpf drang die Geräuschkulisse der erwachenden Stadt zu ihnen herein. Der Kanonenschlag, der die Soldaten weckte, war schon lange vorüber. Isabelle hatte unwillkürlich an Alexander denken müssen. Sie fragte sich, ob er dem Gouverneur über die bevorstehende Ankunft französischer Truppen berichtet hatte.
Während Baptiste ihr und ihren Brüdern Bescheid darüber gab, dass Françoises Wehen eingesetzt hatten, war Alexander, den über diese Nachricht alle vergessen hatten, diskret verschwunden. Isabelle nahm es ihm nicht übel, denn ihr war klar, dass Étienne nie bereit gewesen wäre, ihn lebend gehen zu lassen. Ihr Bruder hatte auch geschworen, den Schotten ohne Zögern zu töten, sollte er ihm eines Tages wieder über den Weg laufen. Dann war er zur Armee zurückgekehrt und hatte Louis und Guillaume bei der Familie in Québec gelassen.
Étiennes Reaktion auf Alexander schmerzte Isabelle. Aber sie hätte von ihm nichts anderes erwartet. Der junge Mann hatte stets leidenschaftlich seine Freiheit verteidigt; daher war es für ihn unerträglich, dass Engländer auf französischem Boden standen. Er konnte sich einfach nicht damit abfinden, dass seine Schwester sich mit einem englischen Soldaten zusammentat; er konnte sie nicht verstehen und würde auch nie in der Lage dazu sein. Darin war er so anders als ihr Vater und als Louis, der ein ausgleichendes, zugängliches Temperament besaß. Étienne ähnelte wohl seiner Mutter, Charles-Huberts erster Frau … Wenn das so war, dann musste Jeanne Lemelin eine schroffe, abweisende Frau gewesen sein.
Die Tür öffnete sich, und Perrine trat ein, eine Schüssel mit kochend heißem Wasser in den Händen. Geneviéve folgte ihr mit sauberen Tüchern. Françoise stieß einen langgezogenen Seufzer aus, und der Kopf der Hebamme, die auf einem Stuhl am Bett eingenickt war, fuhr hoch. Die Gebärende delirierte. Das Kind kam nicht heraus; es war zu groß für das Becken seiner Mutter. Die ganze Nacht hindurch hatte Françoise sich stöhnend, schreiend und heulend bemüht, es auszustoßen, doch nichts hatte gefruchtet. Das Kind steckte im Geburtskanal fest. Alle fürchteten um sein Leben und das seiner Mutter. Der Abstand zwischen den Wehen wurde größer, ein eindeutiges Zeichen dafür, wie schwach Françoise war. In der Hoffnung, dass ein Wunder geschehen würde, hatte man einen Priester gerufen.
Die Hebamme beugte sich über Françoise, ging dann zu Geneviève und sprach leise mit ihr. Geneviève erbleichte und nickte dann. Eilig, mit wirbelnden Röcken, verließ sie das Zimmer. Einige Minuten später kam Louis. Nachdem sie Perrine hinausgeschickt hatte, erklärte die Hebamme dem Vater, der kurz davor schien, in Ohnmacht zu fallen, die Lage: Das Kind kam nicht heraus; man musste rasch eine Entscheidung treffen. Davon hing Françoises Leben ab.
In dem kleinen Salon war Louis weinend auf einen Stuhl gesunken. Isabelle, die auf seine Bitte hin bei ihm geblieben war, sah ihn hilflos an.
»Warum muss ich nur darüber entscheiden? Wer bin ich denn, um zwischen dem Leben einer Frau und dem eines Kindes zu wählen? Steht so etwas nicht nur dem lieben Gott zu?«
Isabelle vermochte ihm keine Antwort zu geben und schaute auf ihre Fußspitzen hinunter.
»Ich kann Françoise nicht verlieren… Ich liebe sie! Und die Kinder brauchen ihre Mutter! Ich kann sie ihnen nicht wegnehmen und ihnen dafür ein Brüderchen oder ein Schwesterchen geben… Ach, Isa! Ich muss mein Kind töten, um meine Frau zu retten; das ist nicht gerecht. Jetzt verliere ich nach meinem Vater auch noch mein Kind …«
Isabelle stand auf und nahm die Hand ihres Bruders. Sie spürte seine innere Qual, doch sie konnte nichts für ihn tun, außer ihn zu unterstützen, ganz gleich, welche Wahl er traf.
»Gott sieht in dein Herz, Louis. Er weiß, dass diese Entscheidung schwierig ist, und er wird dich nicht verurteilen.«
Angesichts dieser neuen Wendung war Madeleine zusammen mit Sidonie und Françoises und Geneviève Guyons Kindern in das Haus in der Rue Saint-Jean zurückgekehrt. Geneviève war die Freundin, die Françoise seit dem Beginn der Bombardierungen aufgenommen hatte. Justine wiegte sich vor dem Fenster, das auf den Saint-Charles-Fluss und seine Schiffswerft
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