Highland-Saga 03 - Schild und Harfe
hinausging, hin und her und betete ihren Rosenkranz. Ein schwacher Teergeruch hing in der Luft; mit dem Beginn des Frühlings hatte man wieder mit der Überholung der Schiffe begonnen. Von fern drangen, gedämpft durch die dicken Steinmauern, die Stimmen des öffentlichen Ausrufers und seines französischen Übersetzers heran, die eine unverständliche Proklamation verkündeten.
Guillaume saß am Tisch, murmelte vor sich hin und starrte auf ein frommes Bild an der Wand, das ihn faszinierte. Sein leerer Blick beunruhigte Isabelle. Seit gestern benahm sich ihr Bruder, der für gewöhnlich so aufgeweckt war, äußerst merkwürdig. Er schien in einer ganz eigenen Welt gefangen zu sein. Doch sie hatte noch nicht gewagt, Louis darauf anzusprechen.
Dieser marschierte zwischen der Haustür und dem Fuß der Treppe, über die Françoises markerschütternde Schreie zu ihnen drangen, hin und her. Er schien zwischen Fluchtgedanken und dem Bedürfnis, seiner Frau zu helfen, zu schwanken. Dann setzte er sich mit seinen Bartstoppeln und seiner grauen Gesichtsfarbe in die Küche. Isabelle kam der Gedanke, dass er gewiss genauso litt wie seine Frau.
»Trinkt Euren Kaffee, der wird Euch guttun! Unsere Françoise ist stark! Sie schafft das, Ihr werdet schon sehen.«
Louis schaute auf die Tasse hinunter, die Perrine ihm hinhielt, ohne wirklich etwas zu sehen oder zu hören. Seine Schläfen waren feucht; seine Finger trommelten nervös auf seinem Schenkel. Mit einem Mal steigerten die Schreie sich zu einem schauerlichen Geheul. Das Dienstmädchen fuhr zusammen und ließ die Tasse fallen, die auf dem Boden zersprang. Von Panik ergriffen, trat Louis über die Scherben hinweg und rannte zur Treppe.
»Herrgott! Was tun sie ihr bloß an? Warum schreit sie so? Geh doch nachsehen, Isa! Bitte!«
Isabelle war vor Schreck wie gelähmt und rührte sich nicht. Ihr Bruder trat auf sie zu und schüttelte sie.
»Geh nachschauen, Isa! Françoise braucht dich!«
Die junge Frau nahm ihren ganzen Mut zusammen und stieg in die erste Etage hinauf. Die Zimmertür war geschlossen, doch die Schreie, die durch das dünne Holz drangen, schmerzten sie wie Messerstiche. Sie zitterte. Während sie eintrat, ließ ein neues Aufheulen sie zusammenfahren. Entsetzt erstarrte sie. Françoise lag, das Gesicht von ihren entsetzlichen Schmerzen entstellt und mit zerwühltem Haar, auf dem Bett. Man hatte ihr die Handgelenke mit Stoffbändern an den Bettpfosten angebunden, und Geneviève hielt ihre Beine auseinander, damit sie die Hebamme nicht bei ihrer schwierigen Arbeit behinderte. Man hätte meinen können, eine Wahnsinnige vor sich zu haben, die sich in einem Anfall wand. Unter ihr knäulten sich blutgetränkte Laken.
Isabelle konnte nicht erkennen, was die Hebamme, die ihr den Rücken zuwandte, tat. Sie folgte Genevièves grauenerfülltem Blick und trat an eine große Schüssel, die sie nicht gleich bemerkt hatte. Als sie die blutige Masse erblickte, glaubte sie zunächst, man habe den Mutterkuchen herausgeschnitten, damit das Kind besser herauskommen konnte. Doch als sie begriff, worum es sich handelte, stieg eine heftige Übelkeit in ihr auf: Eine Hand, deren winzige Fingerchen sich über der Handfläche krümmten, war zu erkennen, auch ein Arm … Isabelle schlug ihre eiskalte Hand vor den Mund, um ihren Aufschrei zu unterdrücken. Man schnitt das Kind in Stücke, um das Leben der Mutter zu retten …
Kein Säuglingsgeschrei, kein Händeschütteln. Auf den Gesichtern stand nicht das Glück über das Wunder des Lebens, sondern die Trauer darüber, dass ein kleines Wesen hatte geopfert werden müssen, und der Rum diente nicht dazu, auf ein glückliches Ereignis anzustoßen, sondern den großen Schmerz zu ertränken. Die ganze Familie war im Salon der Guyons zusammengekommen und saß in drückendem Schweigen beieinander. Auf Holzböcken stand ein kleiner Kasten aus Ahornholz, auf dem eine Kerze brannte. Darin ruhte der kleine Maurice Lacroix.
Vor dem Haus wartete ein Wagen. Isabelle hatte sich in einen mit abgeschabtem Drillichstoff bezogenen Sessel geworfen und wiegte sich schluchzend hin und her. Zu viel Tod, zu viel Trauer…
Françoise lag gewaschen und frisch angezogen in einem sauberen Bett im ersten Stock. Sie schrie nicht mehr, sondern war in einen tiefen Schlummer gesunken, der sie für kurze Zeit ihres Schmerzes enthob. Louis hatte sich gewaschen und rasiert und besprach mit dem Priester die letzten Einzelheiten für die Trauerfeier. Niemand
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