Highland-Saga 03 - Schild und Harfe
sich zu runden begann und der Welt ihre Sünde vor Augen führen würde. »Das Aufgebot wird am Sonntag verlesen, und am Freitag darauf wirst du heiraten. Anschließend wirst du dieses Haus verlassen und nach Montréal reisen. Nebenbei gesagt glaube ich, dass du nicht über die neuesten Ereignisse auf dem Laufenden bist… Der Chevalier de Lévis hat auf der Île Sainte-Hélène die französische Flagge verbrannt. Montréal ist ohne Blutvergießen gefallen… vor zwei Tagen.«
Der Schlag traf Isabelle direkt ins Herz. Montréal hatte kapituliert, Alexander würde zurückkommen… und sie würde mit einem anderen verheiratet sein. Sie hörte das Ticken der Uhr. Ihr Vater hatte ihr doch versprochen… Mit einem Mal empfand sie einen unbändigen Zorn: auf ihren Vater, der sie verlassen hatte; auf ihre Mutter, die sie nicht liebte; auf Alexander, weil er ihr mit diesem Kind ein zweischneidiges Geschenk gemacht hatte; auf ihre Cousine, die nicht mehr tun konnte, als sie zu trösten; auf Perrine, die sie nicht verstand … Sie zürnte der ganzen Welt ob des Unglücks, das sie getroffen hatte. Ihr war, als erstarrte ihr ganzes Leben in diesem Moment zu einem Gemälde in düsteren Farben, in dem die Vögel sich versteckten und Blitze den Himmel zerrissen. Sie stieß einen gellenden Schrei aus. Doch es nützte nichts. Der Schmerz blieb und ließ kein bisschen nach. Der Tod wäre gnädiger gewesen.
16
Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir
Hätte er den Zeitpunkt seines Todes wählen können, dann wäre es der Herbst gewesen, wenn die Natur nach der strahlenden Pracht des Sommers in einer bunt gescheckten Landschaft friedlich einschläft, kurz bevor der düstere Winter sich zum Bleiben einrichtet. Doch im Moment sehnte sich Alexander nicht nach dem Tod, ganz im Gegenteil. Der Tag, von dem er seit drei Monaten geträumt hatte, kam näher: Endlich würde er Isabelle wiedersehen.
Das Ufer glitt an ihm vorüber, und seine leuchtenden Farben spiegelten die Gefühle, die sein Herz bewegten. Der azurblaue Himmel jubelte mit ihm über sein Glück. Er berauschte sich an der reinen Luft. Québec kam in Sicht. Er erblickte seine Kirchtürme, die wie Pfeile in die Luft ragten, die Reede, auf der nach und nach das triumphierende Geschwader einlief. Auf den Kais sah er viele Menschen, die gekommen waren, um der Rückkehr des Regiments in sein Winterquartier beizuwohnen.
Der Krieg in Nordamerika war beendet. Lévis und seine Männer waren in ihre Heimat zurückgekehrt. Wenn in Europa die Kanonen ebenfalls schwiegen und der Friedensvertrag unterzeichnet war, konnte er die Frau heiraten, die er liebte, und sesshaft werden… endlich.
Zwei Tage. Zwei nicht enden wollende, anstrengende Tage. Er hatte seine Befehle befolgt, bei der Einrichtung der neuen Quartiere für die Kompanie mitgearbeitet und keine Minute für sich gehabt. Isabelle hatte ihm seit seiner Rückkehr kein Lebenszeichen gegeben, was ihn stark beunruhigte. Ob sie krank war? Doch auch ihr Bruder Ti’Paul, der früher den Boten für die beiden gemacht hatte, war nicht aufgetaucht.
Die Menschen gingen ihren Tätigkeiten nach und kamen und gingen, ohne sich allzu sehr um den jungen Soldaten zu kümmern, der vor dem Haus in der Rue Saint-Jean stand. Er hielt sich schon einige Minuten dort auf und musterte in der Hoffnung, die Gestalt seiner Liebsten zu erblicken, die Fenster. Nichts. Das Haus wirkte merkwürdig ruhig. Waren vielleicht alle zu einem Verwandtenbesuch außerhalb der Stadt aufgebrochen? Das hätte Isabelles Schweigen erklärt. Er zögerte noch, wieder fortzugehen, denn er war schrecklich enttäuscht, zudem er den ganzen Abend frei hatte.
Eine flüchtige Bewegung zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Er wandte den Kopf zu einem der Fenster. Nein, er hatte nicht geträumt: Der Vorhang bebte. Da war doch jemand in dem Haus. Sein Herz begann rascher zu schlagen. Er trat auf die Tür zu, doch er wusste nicht recht, was in diesem Fall angemessen war. Aber er hatte keine Lust mehr, sich zu verstecken. Er wollte, dass Isabelle an seinem Arm über die Straße ging, damit alle sie sehen konnten. Alexander fasste sich ein Herz, pochte an die blau gestrichene Tür und wartete. Ein wenig später klopfte er erneut, kräftiger, in dem Glauben, man habe ihn nicht gehört.
Niemand öffnete ihm. Eine böse Vorahnung stieg in ihm auf, als er auf der anderen Straßenseite Stellung bezog und mit düsterem Blick die steinerne Fassade musterte. Da war etwas vorgefallen, das spürte
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