Highland-Saga 03 - Schild und Harfe
Augen nicht!«
Der Ablauf der Jahreszeiten verwandelte die Natur und schenkte dem Licht eine andere Tönung, doch er änderte nichts an dem Schmerz, der Isabelles Körper und Seele erfüllte. Die junge Frau fühlte sich wie gefangen in ihrem Kummer, der sie beschwerte und lähmte, während sich um sie herum die Welt weiterdrehte, gleichgültig gegenüber ihrem Zustand.
Für Isabelle war ein sonniger Tag trübe, und das fröhliche Zwitschern eines Vogels klang traurig. Ein frisch gepflückter Apfel kam ihr sauer vor, der Duft einer Rose viel zu schwer. Der jungen Frau war, als habe die Natur nur noch eine Jahreszeit, die der Bitterkeit.
Isabelles Hände lagen auf ihrem schrecklich aufgeblähten Leib. Sie schloss die müden Augen und ließ sich gegen die Rückbank des Wagens sinken. Die Kutsche rollte flott über den zugefrorenen Fluss; ihre Glöckchen klingelten durch die Nacht. Das Kind war schwer und ermüdete sie sehr.
Sie trug das Kind des Mannes, den sie liebte, doch er wusste nichts davon und würde es nie kennenlernen. Isabelle hatte Angst, es könnte seinem Vater ähnlich sehen. Sie würde es nicht ertragen, jeden Tag Alexander vor sich zu sehen, wenn sie das Kind anschaute. Deswegen wünschte sie sich auch ein Mädchen; das würde es für sie leichter machen. Zu Beginn hatte die Ankunft des kleinen Wesens sie mit Freude erfüllt; so konnte sie einen Teil von Alexander in sich bewahren. Doch das, was ihr zuerst wie ein Geschenk erschienen war, hatte sich rasch als Fluch erwiesen. Statt sie mit ihrem Liebsten zu verbinden, trennte das Kind sie unwiderruflich von ihm.
Nein, sie erwartete dieses Kind, das bald auf die Welt kommen würde, nicht mit Freude. Es war Alexanders Kind … das Kind des Mannes, den sie geliebt hatte und den sie jetzt zu vergessen suchte. Sie war dem jungen Schotten böse, weil er sie nicht vor dem Altar gerettet hatte, kurz bevor sie das »Ja« ausgesprochen hatte, das sie in alle Ewigkeit an einen Mann band, den sie kaum kannte und nicht liebte. Sie hasste ihn, weil er nicht gekommen war, um sie von den ehelichen Pflichten zu befreien, die sie zu erfüllen hatte. Sie verabscheute ihn, weil er zuließ, dass ein anderer Mann sein Kind in den Armen halten und die Vaterrolle an sich reißen würde. Wo steckte er nur? Warum war er sie nicht holen gekommen? Er musste doch wissen, wo sie war! Ließ er sie einfach gehen, ohne einen Versuch zu unternehmen, um sie zu kämpfen? Konnte er nicht verstehen, in welcher Lage sie sich befand?
»Ist Euch kalt?«, fragte Pierre besorgt.
Sie nickte. Seit Québec hatte sie den Eindruck, dass ihr gar nicht mehr warm wurde. Ihr Gatte legte die Hand auf die ihre. Sie war zu matt, um sie wegzuschieben. Sie sehnte sich nach Schlaf. Doch das unablässige Rütteln den Wagens ließ sie keinen Schlummer finden. Wenn sie Sorel erreichten, konnte sie sich endlich dem Schlaf ergeben, dem einzigen Zustand, der ihr Erleichterung verschaffte.
Das Kind war unermüdlich. Es bewegte sich, trat gegen ihr Becken, boxte sie in die Rippen und schnitt ihr den Atem ab. Sie wölbte den Rücken leicht. Höchstens noch einen Monat, und sie war es los. Dieses Kind war der Grund für diese erzwungene Heirat gewesen. »Bis dass der Tod euch scheidet«, hatte der Priester gesagt. Diese Worte hatte sie genau gehört.
Ansonsten verschwamm ihr Hochzeitstag in ihrer Erinnerung: das Rauschen ihres schwarzen Taftkleids; das Weinen des kleinen Luc, in das sie am liebsten eingefallen wäre; der schwere Geruch des Weihrauchs; Madeleine, die sie umarmte und ihr halb traurig, halb spöttisch zuflüsterte, sie hätte Pierre die Strumpfbänder verknotet – angeblich machte das einen Mann unfähig, seine ehelichen Pflichten zu vollziehen –; Pierre, der sie ansah; die nasale Stimme des Priesters … Ego conjugo vos in matrimonium … Ich gebe euch als Eheleute zusammen …
Sobald die Zeremonie vorüber und die Kirchenregister unterzeichnet waren, hatte ihr Mann ihr geholfen, in die Kutsche zu steigen, die sie zum Sainte-Anne-Fluss bringen würde. Dort waren sie einige Wochen geblieben, während er sich um den Familienbesitz kümmerte, den er im vergangenen Jahr geerbt hatte. Da angekommen, hatte sie sein Zimmer und sein Bett teilen müssen.
In den ersten Nächten hatte Pierre sie in Ruhe gelassen, damit sie sich in den Schlaf weinen konnte, und war ihr nicht zu nahe getreten. Doch in der fünften Nacht war er ein wenig angetrunken ins Zimmer gekommen. Sie hatte getan, als schlafe
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