Highland-Saga 03 - Schild und Harfe
Schlepptau zu nehmen. Aber wenn Euch das nicht recht ist…«
»Nur zu!«, meinte Isabelle und reckte den Hals. »Wir können den armen Mann schließlich nicht in der Kälte sterben lassen!«
Die Schlittenhunde kläfften. In der Nacht bewegten sich von Fackeln beleuchtete Gestalten, die sie ausspannten. Einer der Reisenden trug einen Kapuzenmantel aus dickem Wollstoff, der um die Taille von einem der typischen bunten Flechtgürtel der Trapper zusammengehalten wurde, und eine Pelzmütze. Er sprach mit Pierre, und sein Gesicht lag im Dunkel. Doch als er sich der Kutsche zuwandte, erhellte die Fackel, die er trug, seine Züge. Isabelle spürte, wie ihr Herz einen Satz tat. Sie hätte schwören können… Nein, das war unmöglich!
Zutiefst aufgewühlt zog sie sich vom Fenster zurück und drückte sich auf die Bank, eine Hand auf dem Leib und die andere vor ihren vor Verblüffung aufgerissenen Mund gelegt. Die Ähnlichkeit war frappierend, aber das konnte nur ein Zufall sein. Alexander befand sich in Québec, bei seinen Verwandten und seinem Regiment.
Der Mann, der mit knapper Not dem Tod entronnen war, lag in einem durch heiße Ziegelsteine gewärmten Bett unter einem Berg Wolldecken. Einige Zeit hatten seine Retter um seine Füße gebangt; doch nachdem sie seine Gliedmaßen lange massiert hatten, war der Blutkreislauf wieder in Gang gekommen. Die rissige, aufgesprungene Haut hatte eine normale Farbe angenommen, und man hatte sie mit einem Balsam aus Lebertran eingerieben. Der Zustand seiner Hände gab größeren Anlass zur Besorgnis. Drei Finger, zwei an seiner Linken und einer an seiner Rechten, waren weiß geblieben. Wenn das Blut nicht wieder zurückströmte, würde man sie amputieren müssen, damit kein Wundbrand eintrat.
Im Kamin knisterte das Feuer und verbreitete eine wohlige Wärme im Raum. Der Mann, der sich »Jean l’Écossais« – John, der Schotte – nennen ließ, saß reglos auf seinem Stuhl am Bett des Verletzten. Sein Blick ging ins Leere, und er sagte sich, dass Gott ihm diesen Soldaten aus einem ganz bestimmten Grund über den Weg geschickt hatte; nämlich, um ihm eine Chance zu geben, Wiedergutmachung zu leisten. Nichts geschah durch Zufall, alles wurde vom Schicksal bestimmt. Einige unvorhergesehene Ereignisse hatten ihn bewogen, früher als ursprünglich gedacht nach Trois-Rivières aufzubrechen. Wäre seine Gruppe zur geplanten Zeit losgegangen, hätten die Männer nur noch eine Leiche im Schnee gefunden. Außerdem hatte bestimmt das unerwartete Auftauchen der Kutsche und die Hilfe, welche die Insassen ihnen hatten zukommen lassen, dazu beigetragen, dass sie die Füße des Verletzten hatten retten können. Es hatte nur wenig gefehlt. Als sie den Soldaten entdeckt hatten, war sein Puls kaum noch wahrnehmbar gewesen. Nur der feine Niederschlag seines Atems auf einem Silberfläschchen hatte den Trappern gezeigt, dass in diesem starren Körper noch Leben wohnte. Doch es hing an einem ziemlich dünnen Faden… Zögerlich streckte Jean l’Écossais die zitternde Hand nach seinem Bruder aus.
»Wirst du mir jemals verzeihen, Alas?«, flüsterte er aufgewühlt, während dicke Tränen über seine Wangen liefen.
Einen Augenblick lang verharrte seine Hand über dem Körper und legte sich dann sanft auf Alexanders Stirn. Seine Haut fühlte sich warm an und war, abgesehen von den Schrammen und Druckstellen, rosig. Alexander würde leben, und das war im Augenblick alles, worauf es ankam.
John wachte zwei Tage am Bett seines Bruders; allerdings nur, wenn dieser schlummerte. Er war noch nicht bereit, sich Alexander zu stellen und zog es vor, damit zu warten, bis dieser vollständig genesen war. Wenigstens würden sie einander dann von gleich zu gleich gegenüberstehen. Im Grunde seines Herzens wusste er allerdings, dass er das Unvermeidliche damit nur hinausschob.
Das Haus, in dem die Trapper Zuflucht gesucht hatten, gehörte der Witwe eines kanadischen Händlers, André Michaud, für den John im vergangenen Winter gearbeitet hatte. Michaud hatte das Pech gehabt, bei Tauwetter in den Batiscan-Fluss zu fallen, und war vor den Augen des entsetzten Schotten ertrunken. Er hatte versucht, ihn zu retten, doch die Eisschollen und die starke Strömung hatten ihn daran gehindert. Marie-Anne Durand-Michaud war so gütig gewesen, ihm und den anderen Trappern einige Tage lang Unterkunft zu gewähren. Doch bald würden sie wieder aufbrechen müssen.
John war Michaud einige Wochen nach seiner Fahnenflucht
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