Highland-Saga 03 - Schild und Harfe
sagen. Sie war ja schon so viele Jahre krank, dass sie wahrscheinlich auf gewisse Weise daran gewöhnt war. Aber nach Culloden haben ihre Augen nicht mehr so geleuchtet wie früher. Es war, als hätte das Leben sie längst verlassen, als der Tod sie holen kam.«
»… Meinetwegen?«
Nach kurzem Zögern nickte Coll. Er war zu bewegt, um zu sprechen. Er gab Alexander das Porträt zurück, der es mit neuen Augen ansah.
»John ist es gelungen, ihr auf diesem Bild das Leben zurückzugeben. Bevor er Glencoe verließ, hat er eine Kopie für Vater angefertigt.«
Duncan, ihr Vater… Alexander versank in seinen Erinnerungen. Er schloss die Augen und versuchte sich an sein Gesicht zu erinnern.
»Verstehst du, ich wollte euch niemals weh tun. Ich bin mir nie darüber im Klaren gewesen, dass ich nicht nur mein eigenes Leben verpfuscht, sondern damit auch andere unglücklich gemacht habe. Jetzt kann ich nichts mehr gutmachen; ich habe keine Zeit mehr, auf irgendeine Art Buße zu tun… Ich kann nur zu erklären versuchen, warum ich mich von euch ferngehalten habe, zumindest am Anfang… Ich möchte, dass Vater mich versteht und mir vielleicht eines Tages vergeben kann.«
»Das hat er längst getan, Alas.«
»Vielleicht«, murmelte Alexander und wandte sich ab, um seine Tränen zu verbergen. »Versprich mir, dass du John zurückholst!«
»Ich kann dir nur versprechen, es zu versuchen. Das Land ist riesig, und vielleicht möchte er ja, genau wie du, gar nicht gefunden werden…«
»Ja … Und sag Munro …«
Ihm versagte die Stimme.
»Er wird dich vermissen, Alas. Und ich ebenfalls, a bhràthair …«
»Wenn du … eines Tages Isabelle sehen solltest … sag ihr …«
Er verstummte lange. Dann stieß Alexander einen tiefen Seufzer aus. Isabelle … sein Engel, sein Wahnsinn und der liebste Mensch, den er zurückließ. Die Frauen, die an irgendeinem Punkt auf dem gewundenen Pfad seines Lebens seine Hand gehalten hatten, waren Leuchtfeuer gewesen, die verhindert hatten, dass er sich verirrte. Doch Isabelle war der Leuchtturm gewesen, zu dem der Weg ihn geführt hatte. Als er sie verlor, hatte er das Gefühl gehabt, seine Orientierung zu verlieren… Die Wahrheit würde er nie erfahren, doch er konnte nicht glauben, dass sie in der Lage gewesen war, ihn die ganze Zeit zu belügen, ohne dass er es bemerkt hätte. Coll wartete immer noch darauf, dass er weitersprach.
»Nein, sag ihr nichts … Es ist gut. Lebe wohl, Coll … Ich liebe dich.«
»Herrgott, Alas!«
Die Brüder umarmten sich ein letztes Mal und vermochten ihr Schluchzen kaum zu unterdrücken. Als Alexander wieder allein war, ergab er sich ohne jede Scham dem Gram, der ihn niederdrückte. Der Tod, der ihn anscheinend während all dieser Jahre stets begleitet hatte, machte ihm keine Angst mehr. Doch ein kleiner Teil seiner selbst wollte weiterleben und flehte um die Barmherzigkeit Gottes.
An diesem Montag, dem 9. Februar, schien das Rad der Zeit stillzustehen. Über dem Galgen, der auf dem Marktplatz errichtet war, hielt der Wind den Atem an. Ein Engländer wurde aufgehängt. Manchen Menschen bereitete das Freude. Andere würden für den Verurteilten beten. Über den Mann ging ein Gerücht um, das mitfühlende Seelen rührte: Halbtot vor Kummer sollte er versucht haben, zu der Frau zu gelangen, die er liebte und die ihn verlassen hatte. Auf diese Weise entstanden Legenden und starben Helden.
Friedlich angesichts der Gewissheit, dass sein Leidensweg bald ein Ende haben würde, erstieg Alexander zum düsteren Rollen der Trommeln erstaunlich gelassen die Stufen. Oben erwarteten ihn der Henker und ein Priester. Rasch überflog sein Blick die Menge auf der Suche nach Colls flammend rotem Haar, doch er sah es nicht und fühlte sich auf gewisse Weise erleichtert. Andererseits war er sich sicher, dass sein Bruder hier irgendwo war.
Während der Mann Gottes, der eine Bibel in seinen geröteten, kalten Händen hielt, versuchte, seine Seele zu trösten, ließ er seinen Geist zu den grünen Hügeln von Glencoe schweifen. Bald würden ihn die tröstenden Arme seiner Mutter umschließen. Das Hängen war nur ein unangenehmer Moment, den er hinter sich bringen musste … Dann sah er Isabelles strahlendes Gesicht vor sich und geriet in Panik, denn er hätte sich so sehr gewünscht, die junge Frau noch ein letztes Mal zu sehen… ihren Duft zu riechen, ihre zarte Haut und ihr seidiges Haar zu berühren …
»In nomine patris, et filii, et spiritus sancti,
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