Highland-Saga 03 - Schild und Harfe
Archibald vorhergesagt hatte, waren die Indizien, die dem Gericht vorlagen und die sich insbesondere auf das rebellische Verhalten des Angeklagten vor seiner Fahnenflucht stützten, erdrückend; und das ungeachtet dessen, dass er sich den Behörden selbst gestellt hatte, bei seiner Fahnenflucht stark betrunken gewesen war und seine Verletzung ihn daran gehindert hatte, eher zurückzukehren und sich bei seinem Hauptmann zu melden. Gemäß Artikel 1 des sechsten Abschnitts des Kriegsrechts verurteilte man den Angeklagten zum Tod durch Erhängen. Das Urteil würde in vier Tagen vollstreckt werden.
Archibald, der leichenblass geworden war, suchte Alexanders Blick, doch der verbarg die Augen hinter halb geschlossenen Lidern. Dafür begegnete er Colls panischem Blick. Er glaubte, ohnmächtig werden zu müssen, und klammerte sich an seinen Stuhl. Am liebsten hätte er losgebrüllt: Sie würden Marions Sohn hängen, den er immer als seinen kleinen Bruder betrachtet hatte!
Er hatte alles getan, um das zu verhindern, die Schankmägde und den Wirt im Rennenden Hasen , Alexanders Zimmergenossen und einige Stammgäste der Taverne verhört. Aber diese Informationen hatten nur bestätigt, was der junge Mann bereits gesagt hatte. Archibald hatte nichts Neues erfahren.
Schwach drang eine Stimme zu ihm, und langsam riss er sich aus seinen düsteren Gedanken. Ein Sergeant rief ihn an; jemand verlangte ihn zu sprechen.
»Wer?«
»Eine gewisse Émilie Allaire, Sir.«
»Sie soll an einem anderen Tag wiederkommen! Mir ist heute nicht danach, Bittsteller zu empfangen …«
»Sie sagt, es sei wichtig, und sie …«
Zornig fuhr Archibald zu seinem Untergebenen herum.
»Ein andermal, Sergeant Robertson! Ist das klar?«
»Sie sagt, sie sei Schankmagd im Rennenden Hasen , Sir. An dem Tag, an dem Ihr Eure Befragung durchgeführt habt, habt Ihr sie nicht verhören können, da sie zu der Zeit Besorgungen erledigte.«
Archie sah an dem Sergeanten vorbei und erblickte in der Tür eine kleine Frau, die in ihre Richtung schaute. Sie kam ihm vage bekannt vor. Bah! Vielleicht war er ihr irgendwo begegnet, als sie einem seiner Offiziere in seinem Zimmer einen Besuch abgestattet hatte. Sie lächelte ihm zu und knickste. Da traf es ihn wie eine Kanonenkugel: Alexander … das war Alexanders Mätresse.
»Ist sie das?«
Robertson folgte seinem Blick und nickte.
»Führt sie sofort in mein Arbeitszimmer, Sergeant. Ich komme nach. Und betet zu Gott, dass es nicht vergeblich ist.«
Die Tür schloss sich hinter Coll, der regungslos in der Mitte der Zelle stehen blieb. Einen Moment lang musterten die Brüder einander, ohne ein Wort zu sagen. Alexander wirkte vollkommen gleichmütig, was Colls Unbehagen noch verstärkte.
»Du wolltest mich sehen?«
Etwas Besseres war ihm für den Anfang nicht eingefallen.
»Ja. Ich möchte, dass du mir einen Gefallen tust.«
Er griff unter seinen schäbigen Strohsack, zog einige Briefe hervor und hielt sie ihm hin.
»Die sind für Vater und für John. Ich möchte, dass du sie ihnen gibst.«
»Aber John ist…«
»Er lebt, Coll.«
Coll fuhr zusammen und stieß einen verblüfften Laut aus. Alexander nahm die Miniatur, die sein Zwillingsbruder ihm gegeben hatte, aus seinem Sporran . Man hatte ihm erlaubt, sie bei sich zu behalten.
»Der Zufall oder die Vorsehung haben dafür gesorgt, dass unsere Wege sich noch einmal gekreuzt haben. Ich habe keine Lust, in Einzelheiten zu gehen, aber ich kann dir so viel sagen, dass es mir … auf gewisse Weise die Augen geöffnet hat, ihn wiederzusehen. Ich habe auch einen Brief für dich, Coll. Wenn du ihn gelesen hast, wirst du alles verstehen.«
Er stand auf und ging in dem engen Raum ein paar Schritte. Dann wandte er sich seinem Bruder zu, der sich keinen Zoll bewegt hatte und ihn mit bestürzter Miene ansah, und reichte ihm die Miniatur.
»Alas…«, hauchte Coll und sah ungläubig auf das lächelnde Gesicht seiner Mutter hinunter. »Wie … Ich erinnere mich an dieses Porträt. John hat es gemalt.«
»John? Ich wusste gar nicht, dass er das kann.«
»Er ist ebenso geschickt mit dem Pinsel wie du mit einem Schnitzmesser. Dieses Porträt hat er vor dem Tod unserer Mutter angefertigt.«
Seit ihrem Wiedersehen auf der Martello hatten sie niemals über Marions Tod geredet. Tatsächlich hatten beide dieses Thema sorgfältig vermieden, als berge es ein schreckliches Geheimnis, das keiner von ihnen ansprechen wollte.
»Hat sie … sehr gelitten?«
»Schwer zu
Weitere Kostenlose Bücher