Highland-Saga 03 - Schild und Harfe
Schreck über diese Gedanken aufgerissenen Augen starrte er immer noch den Riss im Mauerwerk an.
Stimmen und Schritte rissen ihn aus seiner Erstarrung. Er wandte sich zur Tür. In der kalten, dunklen Zelle war ein metallisches Klicken zu hören, ein Knarren, und dann öffnete sich die Tür. Zwei Männer, von denen einer einen Stuhl trug, traten im schwachen Licht ihrer Fackeln ein. Der Wachsoldat ging hinaus und ließ Alexander mit dem Besucher allein.
Lange blieb die hochgewachsene Gestalt reglos stehen. Das Leder der Stiefel und die goldenen Knöpfe an seinem Rock schimmerten leicht. Kupferfarbene Reflexe umgaben das Gesicht, das im Dunkel lag. Alexander zog die Augen zusammen und richtete sich auf seinem schäbigen Strohsack auf.
»Hauptmann Campbell?«
Offensichtlich verlegen räusperte sich der Offizier.
»Ich bin als Familienmitglied hergekommen, Alexander. Als Freund, wenn du das vorziehst. Ich heiße Archie Roy, weißt du noch?«
Alexander setzte sich auf den Rand des Strohsacks.
»Archie Roy …«
Archibald Campbell setzte sich auf den Stuhl und sah seinen Neffen an. Ihm fehlten die Worte, und sein kummervolles Herz schlug heftig. Am liebsten hätte er laut geschrien. Er hatte sich gelobt, die Uniform zu vergessen, die er trug. Aber die Gewohnheit beherrschte schon so lange seine einfachsten Handlungen… Er zwang sich immerhin, eine entspanntere Haltung einzunehmen, indem er die Beine, die er vor sich ausgestreckt hatte, übereinanderschlug.
»Wie geht’s deiner Hand?«
»Besser.«
»Wirst du gut behandelt?«
»Einigermaßen.«
»Und frierst du bei Nacht?«
»Schon in Ordnung.«
»Hmmm…«
Archie entflocht seine Beine und schlug sie andersherum übereinander.
»Ich habe den Bericht von Leutnant Rose gelesen, Alex. Ich weiß nicht, was ich sagen soll …«
Peinlich berührt verstummte er einen Moment lang, dann sprach er mit unsicherer Stimme weiter.
»Ich würde gern aus deinem eigenen Munde hören, dass du wirklich desertieren wolltest. Alex, ich weiß, dass das Leben bei der Armee nicht leicht ist. Und ich weiß auch von… dieser Frau, mit der du Umgang gepflegt hast, und es hat mich aufrichtig betrübt, davon zu hören. Ich weiß nicht, was passiert ist, aber… ich kann mir nicht vorstellen, dass du desertiert bist.«
In dem verschwommenen Zwielicht, das in der nur vom Licht der Fackel erhellten Zelle herrschte, schaute Alexander seinen Onkel an. Archie kannte ihn gut. Sinnlos, ihm etwas vorzumachen.
»Um ganz ehrlich zu sein, Archie, ich weiß nicht einmal, wie ich dorthin gekommen bin. Ich bin ganz einfach auf einem Karren in Sainte-Anne-de-la-Pérade aufgewacht. Was soll ich dir anderes sagen? Ich habe natürlich versucht, das den Männern, die mich verhört haben, zu erklären, aber… sie haben mir nicht geglaubt.«
»Nein… wohl nicht. Du musst ja auch zugeben, dass die Geschichte zweifelhaft klingt! Trotzdem würde ich dir raten, eine Aussage zu machen und alles zu erzählen, woran du dich erinnerst. Und du hast wirklich nicht die geringste Ahnung, wie du in diesen Karren gekommen sein könntest?«
»Nein.«
»Wo bist du an dem Abend gewesen, der diesem betrüblichen Ereignis vorausging, und mit wem warst du zusammen?«
Das Erste, was Alexander in den Sinn kam, war das Bild von Émilies prallem Hinterteil… Er lächelte. Dann erinnerte er sich an seine Niederlage beim Würfeln. Aber all das half ihm nicht weiter.
»Ich habe den Abend im Rennenden Hasen verbracht und wohl ein wenig zu viel getrunken …«
»Hmmm…«, brummte Archie gereizt und streckte erneut die Beine aus. »Dein Dossier ist wirklich nicht besonders hübsch anzusehen, Alex. Dein Benehmen während der Wochen vor deinem… Verschwinden wird im Prozess stark gegen dich sprechen. Ich brauche etwas Besseres, um dich zu entlasten, sonst …«
»Ich weiß. Aber etwas anderes habe ich nicht«, gab Alexander mit leiser Stimme zurück.
»Ich werde die Schankmägde in dem Etablissement befragen. Vielleicht hat ja eine von ihnen etwas mitbekommen, das uns helfen könnte, dieses Rätsel zu lösen… Hast du die Taverne allein verlassen? War die Sperrstunde bereits angekündigt?«
»Ich weiß es nicht mehr, Archie! Ich erinnere mich an nichts!«
Einen Moment lang schwieg Alexander und sah gedankenverloren auf das Stroh, mit dem der Boden bestreut war. Dann musste er wider Willen lachen.
»Ich nehme an, dass man es keinen ehrenhaften Tod nennen kann, wenn man wegen Fahnenflucht aufgehängt wird. Aber
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