Highland-Saga 03 - Schild und Harfe
Alexander um nichts in der Welt mit Fragen und Äußerungen bedrängen, die ihn in die Flucht geschlagen hätten. Er war so glücklich darüber, nach all den Jahren seinen Bruder wiederzusehen.
»Darf ich denn Vater schreiben, dass du noch am Leben bist und es dir gutgeht?«
Die Frage ärgerte Alexander, und er biss die Zähne zusammen, damit er nicht allzu rasch antwortete.
»Was sollte ich dagegen einwenden, wenn du meinst, dass ihn das irgendwie in seinem Kummer trösten kann?«
Die falsche Beiläufigkeit seiner Antwort ließ Coll hellhörig werden. Mit einem Mal hob sich ein Eckchen des Schleiers, der über dem Geheimnis hinter Alexanders langem Verschwinden lag. Sein Bruder hatte ständig die Aufmerksamkeit ihres Vaters gesucht, und dabei hatte er sie immer gehabt, ohne es zu bemerken. Etwas trieb ihn um und hielt ihn von seinem Tal fern; und dieses Etwas hatte mit seinem Vater und mit John zu tun. Eifersucht? Schlechtes Gewissen? Jedenfalls war zwischen den Zwillingen etwas vorgefallen. Im Lauf der Zeit würde er schon die Wahrheit erfahren. Im Moment hatte er nur den einen Wunsch, Alexander neu kennenzulernen.
Er hielt ihm die Hand entgegen, eine Aufforderung an seinen Bruder, Waffenstillstand zu schließen und der Entfremdung zwischen ihnen, deren Grund er nicht kannte, ein Ende zu bereiten. Alexander sah auf die ausgestreckte Hand hinunter und schlug schließlich ein. Ihre Berührung erweckte ihre brüderlichen Gefühle erneut zum Leben und ließ das Blut, das sie verband, in ihren Adern brodeln. Heftig und tief gerührt umarmten sie einander, vergossen Freudentränen über ihr Wiedersehen und beweinten alles, von dem sie wussten, dass es unwiederbringlich verloren war.
Ehe die achte Woche zu Ende war, sahen die Soldaten die zerklüftete Küste eines kleinen Stückchens Erde aus dem Nebel auftauchen, das den Angriffen des Meers ebenso starrsinnig Widerstand leistete wie seine Bewohner den Invasoren: Akadien. Erst nach sechs Wochen auf See hatte man den Soldaten mitgeteilt, wo ihr Ziel lag.
Sie warfen Anker auf der Reede von Halifax. Halifax, das 1749 von General Edward Cornwallis gegründet worden war, diente als Marinebasis gegen die französische Präsenz auf der Halbinsel Akadien. Seit kurzer Zeit hatte sich dort auch eine zivile Ansiedlung gebildet, die täglich wuchs. Der zunehmende Handel und die aufblühende Fischereiindustrie zogen Einwanderer aus Neuengland, Schottland und sogar Deutschland an, die sich rund um die Festung niederließen.
In der Stadt waren zwölftausend Soldaten im Dienste von George II. stationiert. Ihr hauptsächliches militärisches Ziel würde Fort Louisbourg sein, östlich der Stadt in einer französischen Enklave gelegen, die seit dem Tode Louis XIV. Île Royale hieß und von den Engländern Cap-Breton genannt wurde. Diese Festung, die der zufälligen Laune eines Königs entsprungen war, stellte finanziell ein Fass ohne Boden dar und verschlang die Louisdors, die dazu hätten dienen sollen, die Stadt Québec, die Hauptstadt von Neufrankreich, zu versorgen und zu bewaffnen.
Nachdem sie einige Wochen lang eine gründliche Ausbildung erhalten hatten, würden die Truppen sich wieder einschiffen, und die Flottille würde Kurs auf das Fort nehmen. Man wusste nicht, auf welche Weise die Franzosen von ihrer Ankunft erfahren hatten, doch sie waren für das Zusammentreffen gewappnet. Das englische Oberkommando, das stark auf das Überraschungsmoment gesetzt hatte, verschob – zur großen Enttäuschung der Soldaten, die bei dem Gedanken gejubelt hatten, an der ersten großen Schlacht teilzunehmen, die ihnen den Weg zum Sieg ebnen würde – daraufhin den Angriff auf das nächste Jahr.
Anfang Oktober schifften sich die Regimenter der Fraser Highlanders erneut zu einer kurzen Fahrt nach New York ein, wo sie den Winter verbringen würden.
Boston, April 1758. Unter dem aufmerksamen Blick von Admiral Edward Boscawen rückten die Soldaten auf die frisch gescheuerten Decks der Schiffe ein. General Jeffrey Amherst, der die Expedition nach Louisbourg kommandierte, hatte befohlen, die Truppen zur Ausbildung in Halifax zusammenzuziehen. Der junge Brigadier James Wolfe leitete die Division, der die Fraser Highlanders angehörten. Ende Mai schifften die Truppen sich wieder ein, und die Schiffe fuhren nach Cap-Breton, wo sie am 2. Juni Anker warfen.
Louisbourg, einst uneinnehmbarer Schlupfwinkel französischer Korsaren, die lange Zeit das Schreckgespenst der englischen Schiffe
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