Highland-Saga 03 - Schild und Harfe
gewesen waren, erhob sich auf einem Felsen inmitten von Nebel und Sumpf. Die Festung, die an einem strategischen Punkt südlich der Einfahrt zum Golf von Saint-Laurent lag, war ein Zankapfel zwischen Engländern und Franzosen, wobei Erstere sie den Letzteren zu entreißen versuchten. Ein erstes Mal war sie 1745 gefallen, während des Österreichischen Erbfolgekriegs. Aber bei der Unterzeichnung des Friedensvertrags von Aachen 1748 war sie zur großen Enttäuschung der Sieger an Frankreich zurückgegeben worden. Doch nichts währt ewig …
Sechs Tage dichter Nebel und schwere Brise. Die Elemente schienen auf der Seite der mit dreitausendfünfhundert regulären Soldaten, Milizionären und Indianern besetzten französischen Garnison zu stehen und gaben sich die größte Mühe, die sechzig Schiffe der englischen Flotte in der Bucht von Gabarus zu zerstreuen. Die Engländer jedoch widersetzten sich, klammerten sich an ihre Anker und an die Überzeugung, dass Amerika besser dran wäre ohne diese Franzosen, deren Blut so gottlos ist wie die Wilden, mit denen sie paktieren!
Die Nacht war weit fortgeschritten, als Alexander in den flachen Kahn trat. Das schwimmende Bataillon fieberte den ersten richtigen Kämpfen entgegen, zu denen es bald kommen würde. Der Wind von Süden hatte die Trübsal des Winters verjagt. Nachdem sie so aus ihrer Mattigkeit gerissen waren, fühlten die Männer sich von kriegerischem Geist erfüllt und konnten es kaum abwarten, wieder Pulverdampf zu atmen. Sie waren da. Die zerklüftete, wenig einladende Küste bot keinen sicheren Ort für eine Landung. Einzig die Bucht von Kennington Cove, die im Schatten eines Felsvorsprungs lang, schien bereit, sie aufzunehmen.
Dank der Ausbildung, die sie in Halifax erhalten hatten, waren die Soldaten an diese Art Manöver gewöhnt und wussten, wie sie sich in den winzigen Booten zu verhalten hatten, die von einer erbarmungslosen Dünung durchgeschüttelt wurden. Alexander trug nur sein geladenes Gewehr, Reservemunition, sein Schwert und seinen Dolch sowie Brot und Käse für zwei Tage bei sich. Sobald sie ein Gebiet eingenommen hatten, das sicher genug war, um ein Lager zu errichten, würden sie neue Verpflegung erhalten.
In dieser mondlosen Nacht hatte das Land kein Gesicht. Nur eine schwarze Masse, die vor ihnen aufragte, wies darauf hin, wo sich die Küste befand. Das Meer überhauchte sie mit seinem stechenden Atem und überzog ihre Haut mit einer Salzschicht. Alexander schloss kurz die Augen, denn er spürte Leticias Blick im Rücken. Er hatte Angst um sie. Wie würde sie zurechtkommen? Wie konnte Evan nur zulassen, dass sie ihm in den Kampf folgte? Sie war eine Frau!
Die liebreizende Leticia … Mit der Zeit hatte er gelernt, seine Impulsivität ein wenig zu zügeln, doch er spürte immer noch dasselbe Verlangen. Nach ihrer Begegnung in dem dunklen Gang auf der Martello hatten sie einen gewissen Abstand eingehalten. Dann waren sie einander ganz vorsichtig wieder näher gekommen. Alexander hatte keine Ahnung, ob ihr Mann wusste, was zwischen ihnen vorgefallen war. Jedenfalls hatte Evan nichts durchblicken lassen, und ihre Freundschaft hatte sich vertieft.
Alexander war beruhigt, denn er mochte diesen Mann sehr gern; im Lauf des Winters, den sie in Neuengland verbracht hatten, hatte er viele schöne Momente mit ihm erlebt. Deswegen hatte er auch nicht mehr versucht, Leticia zur Untreue zu verleiten. Sie liebte ihren Mann, da war er sich sicher. Aber er wusste auch, dass es ihr an Willenskraft mangelte; wenn er ihr nachgestellt hätte, wäre sie ihm gewiss bald erlegen. Doch das hätten sie beide bereut.
Den Blick in die Ferne gerichtet, strich er über seinen Sporran , in den er seine Uhr gesteckt hatte, die Uhr seines Großvaters John Campbell … Coll hatte sie ihm gestern gegeben.
Gerührt betastete der junge Mann die Uhr und schloss die Lider, um die Tränen zurückzuhalten, die ihm plötzlich in die Augen stiegen. Sein Großvater mütterlicherseits hatte ihm diese Uhr an seinem fünften Geburtstag geschenkt.
Coll hatte ihm berichtet, dass der alte Laird von Glenlyon kurz nach Culloden gestorben war, in den Bergen, in denen er sich versteckt hatte. Diese Nachricht hatte ihn zutiefst bekümmert. Der Mann hatte ihm echte Zuneigung entgegengebracht, obwohl er ansonsten eine Abneigung gegen alles hegte, was aus dem »verfluchten Tal« kam; daher bedeutete die Uhr Alexander viel. Wie war Coll an sie herangekommen? Alexander hatte sie doch vergraben,
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