Highland-Saga 03 - Schild und Harfe
gegangen, wo man, wie er wusste, die kranken Gefangenen festhielt; die, die man am Leben gelassen hatte … Drei Wochen hat er überall nach dir gesucht, aber… vergeblich!«
Ein verächtliches Lachen steckte in Alexanders Kehle fest, zusammen mit der Flut von bitteren Bemerkungen, die sich dort stauten. Doch er schwieg und dachte über das nach, was Coll ihm gerade berichtet hatte. John hatte offenbar sein Geheimnis nicht verraten und sogar nach ihm gesucht und riskiert, selbst in Gefangenschaft zu geraten… Warum? Um ihn in ihr Tal zurückzubringen, wo man ihn öffentlich ächten würde? Oder ganz einfach, um sich zu vergewissern, dass er auch wirklich tot war? Coll wusste bestimmt nichts darüber. Nur John konnte seine Vermutungen bestätigen oder entkräften. Doch im Moment dachte er lieber nicht allzu genau darüber nach.
»Ich bin auch tatsächlich gefangen worden«, gestand er langsam. »Aber erst vier Monate nach der Schlacht.«
»Vier Monate?«, fragte Coll erstaunt und mit verblüfft aufgerissenen Augen zurück. »Und wo warst du in dieser ganzen Zeit?«
»Ein alter Mann hat mich nach der Niederlage unserer Armee auf der Ebene aufgelesen. Ich war verletzt, und er hat mich gepflegt. Dann sind wir herumgeirrt. Schließlich haben uns die Dragoner festgenommen und ins Tolbooth von Inverness gebracht. Dort waren wir ein paar Monate lang eingesperrt. O’Shea ist dort gestorben …«
»Bist du freigelassen worden?«
»Nein… ich bin geflohen.«
Vor seinem inneren Auge stiegen Bilder auf, völlig ungeachtet der Chronik der Ereignisse, und erfüllten ihn mit Entsetzen und Trauer.
»Alas«, fuhr Coll nach langem Schweigen fort, »ich würde gern verstehen, was passiert ist. Herrgott! Du warst zwölf Jahre lang verschwunden! Warum bist du nie zu uns nach Hause gekommen? Vater hat sich schrecklich gegrämt, und Mutter …«
»Ich weiß das mit Mama«, gestand Alexander mit leiser Stimme. »Sie ist im Spätsommer 1748 gestorben. An dem Tag ihres Begräbnisses war ich im Tal …«
»Du warst dort? Und du hast dich nicht gezeigt? Alas!«
»Ich konnte nicht …«
Coll tat einen Schritt nach vorn; nun trennte sie nur noch eine Armeslänge. Alexanders Herz klopfte in seinem Brustkasten so hektisch wie ein panisches kleines Tier, das vor einem Ungeheuer, das sich im Dunkel verbirgt, zu fliehen sucht. An seinem Rückgrat lief ein Schweißtropfen hinunter, und er krümmte sich.
»Wie geht es Vater?«
»Einigermaßen. Unsere Abreise hat ihn sehr bekümmert. Du weißt ja, was er von denen denkt, die den Sassanachs aus der Hand fressen! Aber er versteht schon, warum wir uns eingeschrieben haben. Die Highlands haben ihren Kindern nichts mehr zu bieten, nur noch Verzweiflung. Duncan Og und Angus leben noch im Tal und kümmern sich um ihn. Sie haben seit Culloden viel mitgemacht. Weißt du, dass unser Bruder James in der Schlacht gefallen ist? Und Rory auch. Dann hat vor vier Jahren die Schwarze Garde Thomas aufgehängt, Angus’ Sohn. Er hatte auf eine Abteilung geschossen und war gefangen worden. Unsere Schwester Mary ist mit ihrem Mann Donald, der für einen großen Tabakimporteur arbeitet, nach Glasgow gezogen. Sie haben zwei Kinder und leben ziemlich ärmlich in einem übel beleumdeten Viertel. Aber du kennst sie ja, sie nimmt alles philosophisch …«
»Und du, Coll? Du bist nicht verheiratet?«, spöttelte Alexander und erkannte verbittert, dass er in dieser Familie immer ein Außenseiter sein würde.
»Nein. Ich habe eine Verlobte zurückgelassen, Peggy Stewart, aber sie ist erst vierzehn.«
Alexander stieß einen Pfiff aus.
»Vierzehn Jahre?«
»Sie ist ganz vernarrt in mich. Um ihr den Gefallen zu tun, habe ich ihr gesagt, wir wären verlobt. Aber es ist nichts Offizielles. Peggy ist ein sehr liebes Mädchen, aber sie ist noch zu jung zum Heiraten. Wenn dieser Krieg vorüber ist, wird sie reifer sein. Und wenn sie mich dann noch will, heirate ich sie. Vielleicht lasse ich sie auch nach Amerika nachkommen. Es heißt, der Boden dort sei fruchtbar, und alles gedeihe im Überfluss.«
»Sie muss sehr hübsch sein, dass du sie nach dem Krieg wiedersehen willst, Coll …«
Sein Bruder wirkte einen Moment lang nachdenklich. Dann nickte er seufzend.
»Und du? Gibt es eine Frau, die auf dich wartet?«
Ja, in einer anderen Welt , antwortete er lautlos.
»Nein.«
In einer unausgesprochenen Übereinkunft sprachen sie nicht wieder von John. Aber sein Zwilling stand unsichtbar zwischen ihnen. Coll mochte
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