Highland-Saga 03 - Schild und Harfe
auf den ihm zustehenden Leckerbissen wartet. Zwei Kunden gingen hinaus, ihr tägliches halbes Pfund Weizenbrot fest unter den Arm geklemmt. Françoise, deren Hände mit Mehl überstäubt waren, rieb sich das Kreuz, blies eine Haarsträhne weg, die ihr in die Augen fiel und strahlte Isabelle an, nachdem sie einen Blick auf Toupinet geworfen hatte, der sich keinen Zoll bewegt hatte.
»Da bist du ja, meine schöne Isabelle! Heute ist ein großer Tag für dich! Und da hat man dich ausgerechnet an deinem Geburtstag zum Einkaufen geschickt? Hast du denn nichts Besseres zu tun, als in diesem Schlamm von einem Ende der Stadt zum anderen zu laufen? Komm, lass dir einen Kuss geben.«
Die junge Frau errötete vor Vergnügen, beugte sich über die Theke und bot der anderen ihre Wange. Ihre Schwägerin versetzte ihr einen kräftigen Schmatzer und tätschelte ihr die andere Wange, wobei sie den Abdruck ihrer mehlbestäubten Finger zurückließ.
»Zwanzig Jahre, meine Schöne. Hier, eine Kleinigkeit für dich. Ganz frisch aus dem Ofen.«
Bei diesen Worten hatte sie sich gebückt, legte jetzt ein in Leinen geschlagenes Bündel auf die Theke und schlug es auf: Da lag stolz und prachtvoll eine schöne, dicke Brioche, genau richtig gebräunt, mit Trockenfrüchten gesprenkelt und mit Apfelgelee glasiert.
»Danke, meine liebe Françoise!«, rief Isabelle aus und roch an dem Gebäck. »Das werde ich unter meinem Bett verstecken müssen, damit Ti’Paul es mir nicht stibitzt.«
»Unter dem Bett? Dann wird Museau es sich holen.«
Isabelle lachte. Dieser verflixte Museau war genau so ein Leckermaul wie sie. Und ohnehin würde sich das Problem nicht stellen. Die Brioche würde ihren Rückweg nach Hause nicht überleben. Louis ließ seine Backöfen ein paar Minuten im Stich, um ihr einen schönen Geburtstag zu wünschen, und versprach, sich zum Abendessen bei ihrem Vater einzufinden.
Während sie mit ihrer Schwägerin plauderte, füllte die junge Frau ihren Korb, den Toupinet ihr, immer noch so reglos wie eben, mit beiden Händen hinhielt. Kurz bevor sie sich verabschiedete, erbat sie sich noch zwei der schmackhaft aussehenden coquignoles , die Françoise ihr in eine Papiertüte packte.
Ihr nächstes Ziel war das Cabaret de Gauvain in der Rue De Meules. Die Weinschänke nahm das Erdgeschoss des Gebäudes ein, das neben dem Lagerhaus ihres Vaters stand. Jedes Mal, wenn sie dort vorbeiging, stiegen vor ihrem inneren Auge die Bilder ihrer Kindheit auf. Dort war sie geboren und hatte ihre frühen Kinderjahre verbracht, bis ihr Vater, dessen Vermögen unaufhörlich wuchs, ein Grundstück in der Rue Saint-Jean erworben hatte.
Ursprünglich hatte auf dem neuen Besitz eine Halle erbaut werden sollen, die zur Lagerung von Waren diente, da diese immer mehr wurden und das Lager in der Rue De Meules zu eng geworden war. Doch nachdem er in den Rat des Königs berufen worden war, hatte Charles-Hubert Lacroix anders entschieden. Sein neues Amt erforderte, wie er sagte, dass er seine gesellschaftliche Stellung deutlicher demonstrierte. Außerdem würde er sich nun häufig zu den allwöchentlichen Sitzungen des Rats in den Palast des Intendanten 24 begeben müssen. Doch es stellte eine sehr anstrengende Übung dar, die Côte de Montagne und die Rue des Pauvres herab- und wieder hinaufzusteigen, insbesondere im Winter. So war das Grundstück einem anderen Zweck zugeführt worden. Ihr Vater hatte dort lieber ein schönes großes, mit allen modernen Einrichtungen ausgestattetes Haus bauen lassen. Das Gebäude in der Rue De Meules, das nur wenige Schritte vom Hafen entfernt lag, diente jetzt ausschließlich als Warenlager. Wirklich sehr vernünftig!
Isabelle blieb ein paar Minuten stehen und betrachtete die steinerne Fassade des Hauses. Das Lager war für sie als kleines Mädchen eine wahrhaftige Schatzhöhle gewesen. Ihre lebhaftesten Erinnerungen bezogen sich auf den Duft und die Textur der dort aufbewahrten Nahrungsmittel, ob nun im Lager oder in den Kellergewölben. Schon damals war sie ein Schleckermaul gewesen! Noch immer roch sie die einmal süßlichen und dann wieder scharfen Ausdünstungen der Gewürze: Zimt, Muskat, Pfeffer; den ranzigen Geruch nach Fleisch und Talg und den tierischen Fetten, die im Haushalt verwendet wurden; den säuerlichen Duft von Essig und Pökelbrühe und unzählige andere Düfte, die sie nicht hätte benennen können. All das vermischte sich zu dem Sinneseindruck, der für sie einfach »der Geruch von Papas Lagerhaus«
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