Highland-Saga 03 - Schild und Harfe
war.
Leise lächelnd dachte sie an die vielen Stunden zurück, die sie zusammen mit Madeleine in dieser Höhle voller Schätze aus Übersee gespielt hatte. »Königin Isabella von Kastilien«, hatte ihre Cousine sie getauft. Tagelang hatten die beiden sich damit unterhalten, das Lager in einen richtigen Palast zu verwandeln; zum großen Verdruss ihres Vaters, der anschließend nichts mehr wiederfand. Ballen von Samtstoff und feines Tuch aus Lyon, funkelndes Kupfer aus Spanien und ein paar Teile silbernes Tafelgeschirr dienten den Mädchen als Schätze. Hin und wieder hatten sie sogar ein mit Damast bezogenes Kanapee oder einen mit edlen Bronzen geschmückten Schreibtisch zum Spielen gehabt. Was für schöne Erinnerungen!
»Mam’zelle Lacoua? Hier isses.«
Toupinet zupfte an ihrem Cape und wies mit dem Finger auf den Eingang des Cabaret de Gauvain . Sie nickte und stieß die Tür des Etablissements auf. Einige Gäste – Hafenarbeiter, die nichts zu tun hatten, Kaufleute, die Verträge aushandelten, und Durchreisende – saßen an den Tischen und schenkten ihr keine Beachtung. Sie ging direkt zur Theke, wo ein junges Mädchen Zinnbecher abtrocknete und sie dann sorgfältig in die Regale einräumte. Sobald sie Isabelle erblickte, hob sie das Kinn und lächelte.
»Ja, einen wunderschönen guten Tag, Isa! Kommt Ihr, um den Wein für Madame Perthuis zu holen?«
»Deswegen, und noch wegen etwas anderem, Marcelline. Ich bräuchte auch eine Flasche Pflaumenschnaps, falls noch welcher da ist.«
Das junge Mädchen runzelte die Stirn.
»Hat Euer Vater denn nichts mehr? Für gewöhnlich beliefert er uns damit.«
»Nur noch eine Flasche, und heute Abend kommen meine Brüder zum Essen …«
»Auch M’sieur Étienne?«
Ein Lächeln huschte über Isabelles Gesicht.
»Étienne ebenfalls, Marcelline. Du hast doch nicht etwa ein Auge auf meinen Bruder geworfen, oder? Er wird diesen Sommer sechsunddreißig, und du bist gerade einmal vierzehn. Damit könnte er dein Vater sein!«
Das junge Mädchen zuckte nervös die Achseln und schob schmollend die Unterlippe vor.
»Setzt Euch, ich hole den Wein.«
Sie verschwand im Vorratsraum. Isabelle hatte sich angewöhnt, Madame Perthuis einmal in der Woche ihren Krug Wein selbst zu bringen und bei dieser Gelegenheit ein wenig zu plaudern. Marie-Madeleine Perthuis war die Gattin von Ignace Perthuis, dem königlichen Prokurator. Als jüngster Sohn von Charles Perthuis, des ehemaligen Geschäftspartners von Charles Lacroix, Isabelles Großvater, war er zugleich der Patensohn des Vaters der jungen Frau.
Früher hatte das Paar die Familie häufig besucht, und Marie-Madeleine – Tante Marie – hatte eine besondere Zuneigung zu Isabelle entwickelt. Oft hatte sie ihr schöne Gegenstände aus der alten Heimat geschenkt, die sie selbst angeblich nicht mehr brauchte. Die junge Frau erinnerte sich speziell an eine wunderschöne Wachspuppe, die sie zu ihrem fünften Geburtstag bekommen hatte, und vermutete, dass sie dieses Geschenk extra für sie hatte kommen lassen.
Kurz darauf kehrte Marcelline mit einem bauchigen Krug zurück, den sie auf ihrer Hüfte abstützte. Sie ähnelte ihrer Mutter sehr. Von ihr hatte sie die leuchtenden, tiefschwarzen Augen, die dunkle Haut und das rabenschwarze Haar geerbt, das unter ihrer nachlässig aufgesetzten Haube hervorschaute. Die schöne Marie-Eugénie, eine junge Huronin, die im Dienst der Guillimins gestanden hatte, war tragischerweise bei der Geburt ihrer Tochter gestorben. Das Kind wurde von Mathieu und Marie Gauvain adoptiert, und Marie war im Winter 1757 gestorben. Niemand hatte je erfahren, wer Marcellines leiblicher Vater war, aber nach der hellen Haut des Mädchens zu urteilen, musste er ein Weißer gewesen sein.
Mit einem Knall setzte das junge Mädchen den Krug auf die Theke und vergewisserte sich, dass der Korken auch fest saß. Isabelle schaute auf die Reede hinaus, die durch das Fenster, das auf die Cul-de-Sac-Bucht hinausging, zu sehen war.
»Weißt du, ob in den nächsten Tagen Schiffe erwartet werden, Marcelline?«
»Wie man hört, sind drei Schiffe flussaufwärts unterwegs. Eigentlich müsste man sie bald auf der anderen Seite der Insel auftauchen sehen.«
Seit das Eis auf dem Fluss geschmolzen war, musterte Isabelle unablässig den Horizont in der Hoffnung, einen Zweimaster auftauchen zu sehen. Mit Ungeduld erwartete man die Emissäre des Gouverneurs zurück.
»Weißt du, welche Schiffe?«
Marcelline schüttelte den
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