Highland-Saga 03 - Schild und Harfe
energischen Schritten überquerte sie die Grande Place und bekreuzigte sich rasch, als sie die schöne Kathedrale Notre-Dame passierte. In der Rue de Buade musste sie einem Haufen Brennholz ausweichen, der sich bis auf die Mitte der Straße ausbreitete. Unter dem wachsamen Blick des goldenen Hundes, der stolz den Eingang des imposanten, dreigeschossigen Hauses des Händlers Nicolas Jacquin, genannt Philibert, bewachte, beschleunigte sie ihre Schritte. Schon Schriften aus dem alten Griechenland schilderten solche Reliefdarstellungen von Hunden an Häusern, die für den Schutz ihrer Besitzer sorgen sollten. Trotzdem war Philibert 1748 ermordet worden; eine undurchsichtige Geschichte. Da konnte wohl etwas an der Legende nicht stimmen.
Isabelle blieb einen Moment stehen, um zu Atem zu kommen und den Blick zu genießen, der sich ihr bot. Vom oberen Ende der Treppe, die in die Basse-Ville, den unteren Teil der Stadt, führte, konnte sie zwischen den Rauchsäulen, die von den Häusern aufstiegen, und über die steilen Dächer hinweg, die mit Schindeln aus Zedernholz gedeckt und mit Leitern verziert waren, den majestätischen Fluss erkennen, der sich in der Sonne träge durch sein Bett bewegte. Einige Holzflöße und eine Pinasse schwammen auf dem Wasser. Flussaufwärts näherte sich langsam eine Flottille von Kanus, wahrscheinlich Indianer. Die in dem Gewirr von Rahen und Wanten kaum erkennbaren nackten Masten zweier Brigantinen und eines Schoners, die an der Reede ankerten, wiegten sich sanft.
Bald würde eine Armada von Handels- und wahrscheinlich auch von Kriegsschiffen eine schwimmende Stadt vor Québec bilden. Die Möwen würden begeistert über den Wald von Masten sein. Voller Stolz bewunderte Isabelle ihre Stadt. Québec, du Königin von Neufrankreich. Möge Gott dich noch lange vor den Engländern bewahren. Sie schloss die Augen und prägte das Bild ihrem Gedächtnis ein. Dann raffte sie seufzend ihre Röcke und machte sich leise vor sich hin summend an den gefährlichen Abstieg in die Basse-Ville.
Ein unheimlich aussehendes Wesen kam aus dem Schatten gehuscht und hinkte auf sie zu.
»’n Tag, Mamz’elle Lacoua!«
Als sie die näselnde Stimme vernahm, fuhr sie herum und fand sich einem kleinen Männlein mit hässlichen, plumpen Zügen gegenüber, die von einem braunen, kurz geschnittenen Haarschopf gekrönt wurden. Ein schrecklicher Irrtum der Natur, hatte sie gedacht, als sie den Mann zum ersten Mal gesehen hatte. Jetzt lächelte er ihr von der Seite zu und enthüllte schiefstehende Zähne, die zur Hälfte nur noch aus schwärzlichen Stummeln bestanden.
»Ah, guten Tag, Toupinet! Hilfst du mir, meine Einkäufe zu tragen?«
Das alterslose Wesen nickte; bei dem Gedanken an die Süßigkeiten, welche die junge Frau ihm wie immer für seine Dienste zustecken würde, lief ihm bereits das Wasser im Munde zusammen. Isabelle überließ ihm ihren leeren Korb und ging zum Marktplatz, wo sich die Bäckerei Lacroix befand. Heute waren die Marktstände leer. Aber morgen, am Freitag, würden sie gut gefüllt sein. Viele Menschen würden hier umhergehen, und die Händler, die ihre Waren oft schreiend anpriesen, würden einen Radau veranstalten, mit dem man Tote aufwecken könnte.
Als Isabelle an der Ecke der Rue Notre-Dame abbog, begegnete sie drei Offizieren, die, Ledermappen oder Stöckchen unter den Arm geklemmt, eilig einhergingen und ständig ihre Dreispitze zogen, um die Menschen, denen sie über den Weg liefen, zu grüßen. Vor der Herberge Pomme d’or rauchten zwei Indianer, die in bunte Decken gehüllt waren, gelassen ihre Pfeife. Überall waren Männer und Frauen unterwegs und widmeten sich ihren jeweiligen Beschäftigungen. Auch etliche junge Männer waren darunter, die unter dem müßigen Blick von Soldaten, die Urlaub hatten, Wasser oder Holz schleppten. Rekruten, die zum Arbeitseinsatz eingeteilt waren, entfernten die Schlammschichten, die sich an den Gebäuden angesammelt hatten. Das Schmelzwasser, das von der Oberstadt zum Fluss herunterrann, brachte den ganzen Schmutz, der sich den Winter über angesammelt hatte, mit sich.
Die junge Frau trat in die Bäckerei und ließ das ruhige Treiben des Donnerstagmorgens hinter sich. Der Duft nach frischem Brot empfing sie und weckte ihren Appetit. Genießerisch betrachtete sie die Kekse und croquignoles – Biscuitplätzchen –, die noch heiß und frisch mit Zucker überstreut waren. Toupinet bezog vor der Auslage mit den Brioches Stellung wie ein Hund, der
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