Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie
Alexander nicht, näher heranzutreten.
»Sprecht mit mir, Pierre! Wenn das ein Spiel ist, gefällt es mir nicht… Oh, gütiger Himmel!«
Sie sah Alexander aus entsetzt aufgerissenen Augen an und schlug eine Hand vor den offenen Mund. Er erwachte aus seiner Erstarrung, lief ebenfalls zu dem reglos Daliegenden und wälzte ihn auf den Rücken. Jetzt sah man eine tiefe Wunde an seiner Schläfe, in der eine Glasscherbe steckte wie eine scharfe Klinge. Zweifellos hatte Basile eine Flasche zerbrochen und dieses Stück im Heu übersehen. Pierres Augen waren gebrochen; es war eindeutig, dass für ihn keine Hoffnung mehr bestand. Isabelle stand unter Schock, bekam keine Luft mehr und zitterte.
»Ist… er tot? Ist er tot, Alex? Antworte mir! Sag mir, dass ich träume! Sag mir, dass das nicht wahr ist!«
Verzweifelt, von blinder Panik ergriffen, schrie sie.
»Ja, er muss sofort tot gewesen sein.«
Sie zog die Augen zusammen und schüttelte langsam den Kopf.
»Das ist doch nicht möglich… Nein!«
»Isabelle!«
Alexander sah, dass sie ohnmächtig wurde, kauerte sich hin und fing sie auf.
»Isabelle, mo chreach! Isabelle!«
Ein Krampf überlief sie, dann atmete sie tief durch, und die Tränen kamen. Er flüsterte ihr tröstende Worte zu, aber er war selbst zutiefst bestürzt über diese Wendung der Ereignisse. Das hatte er nicht gewollt. Er suchte keine Rache. Jetzt nicht mehr.
Eine Tür knallte. Sie hörten, wie Gabriel nach der Katze rief. Kurz darauf befahl Marie dem Knaben, ins Haus zu gehen und sich bettfertig zu machen. Die beiden erstarrten. Jeden Moment konnte Gabriel in den Stall kommen! Der Kleine murrte und wollte nicht gehorchen. Das Dienstmädchen wurde energischer und versprach ihm, seine Mutter werde ihm noch einen Kuss geben. Isabelle packte Alexanders Arm so fest, dass sich ihre Fingernägel in seine Haut bohrten.
»Och! I’m sae sorry, Iseabail …« Es tut mir so leid, Isabelle …
Er rückte herum, um sich in eine Stellung zu bringen, in der ihr toter Mann ihren Blicken entzogen war, und warf eine Handvoll Stroh über das blutüberströmte Gesicht. Sie hatte aufgehört zu weinen und wurde nur noch von einem sporadischen Schluchzen geschüttelt. Und was nun? Er konnte sie nicht in diesem Zustand zurücklassen, mit Pierres Leiche in den Armen!
»Geh ins Haus, Isabelle, ich kümmere mich um alles«, flüsterte er in ihr Haar hinein. »Los, geh schon!«
Er ließ seinen Worten die Tat folgen und half ihr auf. Dann schüttelte er ihre Röcke aus, um die Strohhalme zu entfernen und strich ihr die Haarsträhnen, die auf ihren Wangen klebten, aus dem Gesicht. Seine Berührungen wühlten sie auf, aber dennoch fühlte Isabelle sich getröstet und wagte es, tief in die saphirblauen Augen zu schauen, die sie unendlich traurig ansahen.
»Es war ein Unfall, Alex.«
»Was kann ich tun? Soll ich …«
»Nein«, schnitt sie ihm das Wort ab und legte die Hand auf seinen Mund. »Das geht nicht! Niemand darf wissen, dass du hier warst, Alex. Man würde dich des Mordes anklagen. Kannst du dir das vorstellen? Ein reicher, geachteter Notar, und du …«
»Der verschmähte Liebhaber, der keinen Sou besitzt«, beendete er ihren Satz verbittert. »Oh, Isabelle, es tut mir so leid. Ich hätte niemals herkommen sollen, ich … ich … Oh, damn it! «
»Pssst! Das konntest du nicht vorhersehen. Geh, Alex! Ich brauche ja nicht einmal zu lügen, wenn ich erkläre, was passiert ist.«
»Isabelle … Ich kann dich mit dieser Situation nicht alleinlassen !«
»Geh, schnell, ich flehe dich an!«
Abrupt machte sie sich von ihm los, drehte ihm den Rücken zu und sah mit leerem Blick auf Pierres Leiche hinunter, die zu ihren Füßen lag.
»Geh!«
Noch ein paar Sekunden vergingen, dann hörte sie die Schritte von Mokassins auf dem Boden und dann das Knarren der Tür. Gleichgültig gegenüber der Tragödie, die sich hier soeben abgespielt hatte, meckerte Colombine und steckte die Nase in ihr Futter. Ein frischer Luftzug drang in den Stall, in dem es jetzt dunkel wurde. Isabelle erschauerte und rieb sich die Arme. Sie kauerte sich neben Pierre, um sein Gesicht freizumachen und ihm die Augen zuzudrücken, und vergoss eine Träne. Zärtlich küsste sie den Mann, den sie nie so hatte lieben können, wie er es verdient hatte.
Sechs Jahre lang hatte sie ihr Leben mit Pierre geteilt. Er hatte ihr seine unerwiderte Liebe geschenkt. Er hatte sie mit Samt und Seide und Schmuck überhäuft und ihr ein angenehmes,
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