Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie
ihn geliebt?« Überrumpelt fragte sie sich einen Moment lang, von wem er sprach. Doch als sie seine zerknirschte Miene sah, war ihr klar, dass er Pierre meinte. Mit einem Mal erstarrte sie und presste die Lippen zusammen.
»Ich möchte nicht darüber reden … nicht heute Abend. Bitte, Alex … Pierre ist tot und liegt viele Meilen von hier begraben, und ich bin hier, bei dir. Ist das denn nicht genug?«
Er hatte den Zeitpunkt schlecht gewählt. Aber jetzt war es für einen Rückzug zu spät. Alexander versuchte, seinen inneren Aufruhr hinter einem unwirschen Ton zu verbergen.
»Die Liebe stirbt nicht, das weißt du. Der ewige Kreislauf… Weißt du noch, was ich dir erklärt habe? Die Spiralen? Das Rad des Lebens dreht sich ohne Unterlass. Körperlich kann man getrennt werden, aber die Seelen finden einander in der anderen Welt wieder. Deswegen möchte ich wissen, ob du ihn geliebt hast.«
»Du hast kein Recht, Alex …«, begann sie, erschrocken über seinen Mangel an Taktgefühl.
Dann überlegte sie es sich anders. Sie mochte nicht noch mehr Öl ins Feuer gießen und antwortete ihm ruhig.
»Was ich für Pierre empfunden habe, ändert nichts an meinen Gefühlen für dich.«
»Nun gut«, gab Alexander zurück und zügelte ebenfalls seine Stimme und sein Temperament. »Zugestanden, das war eine egoistische Frage. Aber so bin ich nun einmal. Du warst mehrere Jahre mit ihm verheiratet, und da …«
»Und vergiss nicht, dass ich seit kurzer Zeit seine Witwe bin.«
»Seit zwei Monaten erinnert die Farbe deines Kleides mich unablässig daran, Isabelle. Führst du mir das eigentlich mit Absicht ständig vor Augen? Aber heute Morgen, in der Hütte …«
Isabelle sah ihn neugierig an. Seine blauen Augen verrieten, was er andeuten wollte, und sie spürte, wie ihr unwohl wurde. Plötzlich bedauerte sie, in die Nacht hinausgelaufen zu sein.
»Es hat so wenig gefehlt …«
»Ja. Dem Himmel sei Dank dafür, dass er Gabriel geschickt und uns daran gehindert hat, eine Dummheit zu begehen.«
»Eine Dummheit? Wenn ich dich recht verstehe, meinst du, dass es ein Fehler wäre, wenn du mit mir dein Lager teilst?«
»Nein. Aber nicht… nicht so.«
Alexander lachte nervös auf.
»Jetzt verstehe ich gar nichts mehr. Ich fürchte, das musst du mir erklären.«
»Was ist mit meiner Trauerzeit?«
»Trauerzeit? Och! Isabelle, du ziehst nur wenige Monate nach dem Tod deines Mannes zu einem anderen, und an diesem Punkt pochst du darauf, dass ich deine Trauer respektiere? Willst du mich das wirklich glauben machen? Manchmal frage ich mich, ob du dich nicht hinter deinem Gott versteckst, um …«
»Mein Gott?! Was soll das heißen, mein Gott? Glaubst du etwa nicht an Gott, Alex?«
»An Gott glauben? Dann sag mir doch, an welchen Gott! Im Gegensatz zu dir hat mir das Leben nichts geschenkt. Ich habe Dinge gesehen und erlebt … wenn ich dir davon erzählen würde, würden sie dir solches Entsetzen einflößen, dass du mich einen Lügner nennen würdest. Ich habe den Kerker kennengelernt. Ich habe unter Leichen geschlafen und davon geträumt, dass ich im Morgengrauen wie sie ende. Ich habe tatsächlich von Regenwürmern gelebt, und zwar mehr als ein Mal! Lass dir von mir sagen, dass ich mich schon vor langer Zeit von gewissen Lehren der Kirche verabschiedet habe! Der Kampf ums Überleben hat mich gezwungen, die Grundlagen der Religion in Frage zu stellen. Lange Zeit war das einzige Kreuz, zu dem ich gebetet habe, jenes, das den Griff meines Dolches bildet.«
»Aber … aber … bist du Atheist? Du … du glaubst nicht an Gott? Bist du ebenso ein Heide wie all diese Wilden, mit denen du als Waldläufer unterwegs warst?«
»Sie sind keine Heiden, sondern haben einen Gott, an den sie glauben. Doch zu ihrem Pech trägt dieser Gott nicht denselben Namen wie der christliche. Bedeutet an Gott zu glauben, dass man blindlings den Regeln folgt, die uns von Menschen, die genauso sterblich sind wie wir, aufgezwungen werden, um nur ja nicht der ewigen Verdammnis anheimzufallen? Heuchlerisch jeden Tag zur Messe zu gehen, um dort Männern zu lauschen – unter denen es, das kann ich dir versichern, welche gibt, deren Seele ebenso schwarz ist wie ihre Soutane –, die öffentlich die Schwachen herabwürdigen und den Starken huldigen, und das ohne Ansehen ihrer moralischen Werte? Oh nein, Isabelle! So etwas tue ich nicht. Doch ich glaube an einen Gott, und an die Gerechtigkeit. Ist es so wichtig, welchen Namen ich ihm gebe? Mein
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