Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie
dass er unter der Marter, die die Eingeborenen sicherlich für ihn bereithielten, gestorben war.
Alexander las Isabelle ihre Gefühle vom Gesicht ab. Sie betrachtete den Wolfskopf auf seiner Schulter.
»Eine Indianerin hat ihn mir tätowiert, genau wie die Schildkröte und alles andere.«
»Was bedeuten diese Tiere?«
»Wenn ein Stamm einen adoptiert, wird man mit dem Symbol des Clans gezeichnet. Das heißt dann, dass man Mitglied des Clans und bei allen Völkern, die zu ihm gehören, willkommen ist und Schutz genießt. Die Schildkröte ist das Emblem der Tsonnnontouan, bei denen ich gelebt habe.«
»Und der Wolf?«
»Ist mein Totem.«
Er erzählte ihr sein Abenteuer mit dem Wolfsrudel, das sich an einem Kadaver gütlich getan hatte.
»Warum bist du vor diesem Volk, das dich aufgenommen hatte, geflohen?«
»Ich gehörte nicht wirklich zu ihnen… und Tsorihia ebenfalls nicht. Sie war die Ziehtochter von… nun ja … der Frau, die beschlossen hatte, mich bei sich zu behalten.«
Prompt zog sie den Finger zurück, mit dem sie zerstreut die Konturen des Wolfskopfes nachgefahren war.
»Tsorihia? Ist das die Frau, die das gemalt hat?«
»Tätowiert, Isabelle.«
Alexander seufzte. Der Name der schönen Huronin war ihm herausgerutscht. Aber er konnte die Rolle, die Tsorihia in seinem Leben gespielt hatte, ohnehin nicht übergehen. Also erzählte er, was weiter geschehen war; von seiner Flucht und seinen Irrfahrten im Gebiet der Großen Seen, und betonte besonders, dass er ohne diese Frau mit Sicherheit gestorben wäre, entweder bei den Tsonnontouan oder in den Wäldern.
»Sie hat mich alles gelehrt, Isabelle. Das Überleben und …«
Das Leben ohne dich … , hätte er beinahe hinzugesetzt, verstummte aber. Isabelle gab sich immer noch kühl.
»Hast du sie geliebt?«
Er fühlte sich in die Enge getrieben und schlug die Augen nieder. Jetzt begriff er auch, warum sie so heftig reagiert hatte, als er ihr die gleiche Frage stellte. Was für ein Schwachkopf er war!
»Das … was ich für sie empfunden habe … ähnelte wahrscheinlich deinen Gefühlen für Pierre.«
Sie antwortete nicht gleich. In dem Schweigen, das sich in die Länge zog, war nur das Zirpen der Grillen zu hören.
»Vielleicht …«
Während ihre Atemzüge sich aufeinander einstimmten, ließen sie die Blicke über das Himmelsgewölbe schweifen. Kurz zog ein Stern eine feurige Spur, und Isabelle lächelte. Als Kind hatte sie sich zusammen mit Madeleine damit unterhalten, Sternschnuppen zu zählen. Dazu hatten die beiden Cousinen sich Geschichten ausgedacht, in denen sie auf diesen feurigen Rossen ritten und eine wundersame Welt besuchten, in der in einem Meer aus Konfitüre von Schlagsahne gekrönte Kucheninseln lagen.
»Isabelle … Ich kann nicht abstreiten, dass andere Frauen außer dir mein Bett geteilt haben. Doch keine von ihnen hat deinen Platz in meinem Herzen eingenommen. Mo chreach! Dort wohnst du, und für immer … Auf meine Seele und mein Gewissen, Gott ist mein Zeuge, dass ich dir die Wahrheit sage.«
Sie nickte nur und zog die Nase hoch.
»Du … warst immer noch mit ihr zusammen, als du im vergangenen Frühjahr nach Montréal gekommen bist?«, fragte sie dann ein paar Sekunden später zögernd.
»Ja …«
»Ich verstehe. Du hast sie also verlassen und bist dann gekommen, um mich zu holen, obwohl du nicht wusstest, wie ich mich entschieden hatte?«
»Mehr oder weniger war das so.«
Betrübt dachte er an die schöne Huronin zurück. Er bereute nichts, aber dennoch machte es ihn traurig, dass er nicht anders hatte handeln können und sie verletzt hatte.
»Vermisst du dieses Leben noch oft, Alex?«
Sie wandte ihm das Gesicht zu.
»Ich bin gern durch ferne Landstriche gezogen. Die ungezähmte Natur gefiel mir und hat meinen Geist getröstet. Aber …«
Stirnrunzelnd sah er sie an. »Ich habe mich nie vollständig frei gefühlt. Da war etwas, das mich noch mit der Zivilisation verband.«
»Und was war das?«
»Was das war?!«
Er wälzte sich auf die Seite, sodass er sie ansah, und musterte sie lange.
»Muss ich darauf wirklich etwas sagen? Wirst du es nicht langsam überdrüssig, immer wieder die gleiche Antwort zu hören?«
Sie lächelte leise, und ein Grübchen zeigte sich in ihrer perlmuttschimmernden, vom Mondlicht beschienenen Wange. Er konnte nicht widerstehen, zog sie an sich und küsste sie. Mit einem Mal war ihr das Herz leichter, und sie schmiegte sich an ihn.
»Ich muss dir etwas gestehen …
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