Highland Secrets
Kleiderschrank war leer und roch leicht muffig, was wohl am Alter lag. Über dem Bett lag eine weiße geblümte Tagesdecke aus glattem Stoff ausgebreitet, unter der Decke befand sich die wohl fülligste Daunendecke, die ich je gesehen hatte. Unter der würde ich sicher nicht frieren. Im weißen Sekretär lagen Briefpapier und Stifte bereit und warteten darauf, von mir benutzt zu werden. Ich legte ein paar meiner eigenen Notizblöcke und Stifte dazu. Als ich meine Erkundung beendet hatte, beschloss ich, die lange Autofahrt von meinem Körper zu duschen und mich für diesen Maskenball einigermaßen vorzeigbar herzurichten.
Das Badezimmer am Ende des Ganges war ganz im Gegensatz zum Rest des Hauses modern, aber schlicht eingerichtet. Den Boden zierten schwarze Fliesen und die Wände weiße mit kaum sichtbaren grünen Marmorierungen. Es gab eine Dusche mit breitem Kopf, der das Wasser über mich rieseln ließ wie sanften Regen , und eine Eckbadewanne. Alles schien noch nicht allzu alt zu sein.
Frisch geduscht fühlte ich mich gleich viel besser und zu allem bereit. Ich ging, nur mit meinem schlichten schwarzen Kleid bekleidet, in mein Zimmer zurück , um meine Haare zu machen. Nachdem ich eine Weile probiert hatte, entschied ich mich für locker aufgestecktes Haar. Ein Blick auf die Uhr meines Handys zeigte, dass es bereits acht Uhr am Abend war. Ich lauschte auf Geräusche von unten, konnte aber nichts hören, was darauf hinwies, dass die Gäste schon eingetroffen waren.
Mit der Maske in der Hand wand ich mich vor dem Spiegel, der über dem Waschtisch angebracht war und strich zufrieden über meine Rundungen. Das schwarze, eng anliegende Kleid betonte gut, worauf ich ohnehin schon stolz war. Das ausgeschnittene Dekolleté gab nicht zu viel preis, betonte aber trotzdem meine Körbchengröße C genau richtig. Die Länge des Kleides war gerade so lang, dass es meine Oberschenkel verdeckte, die mein einziger Makel waren. Sie waren etwas zu dick.
Ich betrachtete aufgeregt aber auch mit einem leicht mulmigen Gefühl die Maske. Sie war mit schwarzem Samt bezogen, der Rand war mit Pailletten besetzt, die silbern im Licht der Deckenbeleuchtung funkelten. Am oberen Rand waren weiße weiche Daunenfedern befestigt, die sanft wogten, wenn man die Maske bewegte oder darauf atmete.
Ich setzte die Karnevalsmaske zögernd auf und sah in den Spiegel. Mir stockte der Atem. Sie verdeckte mein Gesicht und hob zugleich meine grünen Augen auf eine geheimnisvolle Weise hervor. Sie ließ sie regelrecht leuchten und verlieh ihnen einen wundervoll anziehenden Glanz. Und sie betonte meine dezent rot geschminkten Lippen. Diese Maske verlieh mir eine Schönheit, die mir fremd war, mich aber faszinier te. Und sie machte mich anonym.
Ich konnte mich unter den Gästen bewegen, ohne dass sich dana ch jemand an mich erinnern oder mich wiedererkennen würde, wenn er mir mal begegnete. Das Wissen um diese Anonymität verlieh mir Mut, den ich sonst nicht hatte, wenn ich mich unter Menschen bewegte. Eine mir unbekannte Selbstsicherheit breitete sich in mir aus.
Ich war vielleicht stolz auf meine Figur, die ich immer gerne betonte, aber das tat ich nur , um von meinem offensichtlichen Makel abzulenken; der Unsicherheit im Umgang mit Menschen. Irgendwann hatte ich mitbekommen, dass die Menschen dir Fehler verziehen oder sie gar nicht erst bemerkten, wenn du hübsch warst. Sie ließen dir mehr durchgehen, wenn du in ihren Augen schön warst. Nur bei der Person, bei der dieser Trick am allermeisten hätte funktionieren sollen, funktionierte er gar nicht – bei meiner Großmutter.
Versagen war für sie undenkbar. Wenn ich versagte, wurde ich mit Missachtung bestraft. Missachtung, die je nach Schweregrad meines Versagens über Tage hinweg reichte. Das hieß : keine Worte, die sie an mich richtete. Kein Essen, das sie für mich kochte. Keine Wäsche, die sie für mich wusch. Sie tat einfach so, als gäbe es mich nicht. Dieses Verhalten meiner Großmutter hatte mich dazu gebracht, mir immer alles abzuverlangen. Ich war nie zufrieden, aber immer darauf bedacht, alles perfekt zu machen. Es hatte mich zu jemanden gemacht, der sich von allen zurückzog, um immer noch besser zu werden. Ich besaß keine Freunde und kannte nur mein Fortkommen. Mein Leben bestand aus Arbeit und dem Versuch, in allem fehlerfrei zu sein. Dieser Lebensstil in der selbstauferlegten Einsamkeit wiederum war schuld daran, dass ich mich unter Menschen unwohl fühlte. Ich war dann immer
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