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Hikikomori

Hikikomori

Titel: Hikikomori Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Kuhn
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an die Seite des Tiers stellt und feierlich spricht: Genug fappiert! Das Tier sagt: Welt 0 ist abgeerntet. Das Tier will: Erntet euch gegenseitig. Da greifen die Zuhörenden rechts und links nacheinander, ziehen sich gegenseitig die einfache Woll- oder Lederkleidung aus, liebkosen Haut, Münder und die Brüste.
    Cvxycvxycvxycv unterbricht das Tier die Orgie. Alle Blicke sind affeohnewaffe zugewandt: Genug geerntet! Das Tier sagt: Alle wandern!
    Ach, nee , sagt eine gewisse schnapsdrossel87 , wandern muss doch nicht sein.
    Doch, so sei es , sagt affeohnewaffe und zeigt in eine der Himmelsrichtungen, wer weiß, welche Aufgaben er uns stellt. Schnell haben sich ein paar zu ihm gesellt, die Lederrucksäcke aus Kuhhäuten kombiniert und Butterbrote aus Schafsmilch und Getreideblöcken entworfen haben. Singend beginnen sie mit dem Abstieg. Ich lasse sie ziehen, gerade aus einer falschen Deutung oder Annahme heraus kann Gutes entwachsen. In ein paar Tagen werden sie vielleicht wiederkommen, affeohnewaffe ganz bestimmt, er scheint hier seine Lebensaufgabe gefunden zu haben. Oder sie werden sich, wie die vielen anderen vor ihnen, irgendwo niederlassen und ihre Stadt oder ihr Land oder ihre eigene Welt in 0 gründen. Das ist gut: Sie spielen und haben Spaß, Spaß an der Gemeinschaft. Und schlagen sich nicht die Köpfe ein oder verbiegen den anderen nach ihren Wünschen, wie sie es draußen gelernt haben.
    Packt euch warm ein , rufe ich ihnen noch hinterher.
    Null Grad, Tendenz weiter fallend.
    Abgesehen vom frostigen Polarblau sind nun alle Farben aus 0 herausgefiltert. Nur noch wenige Bewohner, die sich bereits Oldfags nennen, handeln auf dem Hochplateau mit Ressourcen. Auch ist die Stromversorgung einiger Newfags unterbrochen und der Wandertrupp unter affeohnewaffes Führerschaft noch nicht zurückgekehrt. Meine beiden Freunde haben sich in ihre unterdessen zu sieben Stockwerken angeschwollene Villa zurückgezogen, vornehmlich ins Matratzenstockwerk, und lassen sich nur schwer aus dem Bett- und Kuschelmodus locken.
    Ich klettere von meinem Baumhaus und mache mich alleine auf die Suche nach den Verschollenen. Die Sonne ist gerade aufgegangen, blauer Nebel liegt über dem Tal. Schafe begleiten mich bis zur Talsohle. Häuser und Dörfer, die auf meinem Weg liegen, sind verlassen und menschenleer. Ich rufe und klingele an Türen, nichts regt sich. Während ich mich der Krankenstation erinnere, passiert es. Zuerst rieche ich ihn, dann erst sehe ich ihn: Schnee, wie er sich aus dem blauen Himmel löst und mich und die Landschaft in wenigen Augenblicken bedeckt. Ich muss zur Krankenstation, denke ich und ziehe einen Schweif an Schneeflocken hinter mir her.
    Die Krankenstation befindet sich auf einer Lichtung und hat die Form eines kegelförmigen Zelts, auf der Spitze sitzt ein blaues Kreuz. Als ich eintrete, kommt mir gleich Piddybaby in Krankenschwesteruniform entgegen und fragt verlegen, ob sie mir helfen könne. Um den Hals baumelt ein merkwürdig gebogenes Stethoskop und in der Hand hält sie ein zierliches Köfferchen. Im Inneren der Station erblicke ich Hunderte Feldbetten dicht an dicht gereiht. Die Patienten haben sich mit den Decken rundherum eingewickelt, so dass nur noch ihre Köpfe hervorgucken. Manche winden sich im Schlaf, andere brabbeln leise vor sich hin. Ich schaue Piddybaby fragend an, da fängt sie zu bibbern an, was sie zuvor unterdrückt zu haben scheint. Ich kenne sie, sie sieht meinem Schwesterchen verblüffend ähnlich: der Pagenkopf, das Polo-Shirt. Schlagartig fällt sie mir um den Hals, als würde auch sie mich wiedererkennen. Doch e twas scheint zwischen uns geschoben, etwas scheint hier nicht mehr zu stimmen. Erst jetzt bemerke ich das sich in ihrem Gesicht ausbreitende Blau in Form kleiner Äderchen, die sich von den Lippen über die Wangen und Stirn erstrecken, bereits bis zu ihrer Kinnpartie vorgedrungen sind. Sie ist Patientin und Krankenschwester zugleich. Ich knie mich vor sie hin, nehme ihre blau anlaufenden Hände zwischen die meinen.
    Du frierst, sage ich.
    Sie lächelt, trotz der Schmerzen, die sie haben muss: Siehst du nicht , sagt sie, wie sehr wir alle frieren?
    Doch , sage ich.
    Dann mach doch bitte die Heizung an . Sie zieht die Hände weg, schaut apathisch in Richtung des Feldbettenlagers.
    Du frierst , wiederhole ich.
    Sie schaut mir kurz in die Augen: Dann mach doch bitte die Heizung an .
    Unter null Grad.
    Wir husten blechern, legen das Ohr an die Fensterscheibe: ein Geräusch auf

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