Hikikomori

gewickelt, die Sprossen hinuntergeklettert. Mit offenen Armen erwarten sie mich, minutenlang halten wir uns fest. Ich kann ihr Blut pulsieren spüren, das Senken und Heben ihres Brustkorbs.
    Ich nehme Girl No.1 an der Hand, umlaufe das Plateau, zeige ihr die Tiere und Berge und Flüsse der Umgebung, während Das Tapfere Sniperlein wie selbstverständlich auf das Baumhaus klettert. Ich weiß, dass es sein Mädchen ist. Er weiß, dass ich sein Freund bin. Mit einer Fackel und ein paar Blöcken Feuerholz unterm Arm steigt er die Sprossen hinab und entzündet ein Lagerfeuer. Er kombiniert rasch und richtig, denn er ist in derartigen Welten groß geworden.
    Das Lagerfeuer wirft unsere flackernden Schatten in die Landschaft, in der Glut des Lagerfeuers garen wir unsere Steaks. Girl No.1 ist überzeugte Vegetarierin, da hier aber alles Leid aufgehoben ist, brät sie ihr Stück, als wäre es ein Marshmallow, und knabbert an der Kruste. Wir blicken zu den blinkenden Sternen hinauf, Girl No.1 hat ihren Kopf in meinen Schoß gelegt. Ab und an erheitert uns ein torkelnder Zombie, der sich, vom Feuer angezogen, in die Flammen stürzt und Grimassen schneidet, während er verbrennt.
    Schön hier, sagt Girl No.1 und schaut in den Himmel.
    Episch , sagt Das Tapfere Sniperlein . Echt episch. Nach einem Schwarm Zugvögel, die wir mit unseren Blicken bis zum Horizont begleiten, fügt er hinzu: Ich wundere mich nur, es ist hier so merkwürdig kühl. 5 Grad, Tendenz fallend. Und dieser Blaustich, obwohl doch die Sonne täglich scheint.
    Das renkt sich schon ein , sage ich und sehe, wie gleichzeitig mit dem Erlöschen einer Sommersprosse auf Girl No.1 Stirn sich ein Stern aus dem Firmament löst und, einen Schweif hinter sich herziehend, am Horizont einschlägt. Funken stieben auf und werden zu Glühwürmchen, bis in alle Ewigkeit.
    Unmittelbar ans Hochplateau grenzend liegt der Eingang zur Behausung der beiden. Nachdem ich ihnen von meinen ersten Erfahrungen in der Rekombination der Elemente zur Herstellung der wichtigsten Werkzeuge und Baumaterialien berichtet hatte, errichteten sie in nur wenigen Stunden ein erstaunlich ansprechendes Haus. Es besteht aus drei Ebenen in Blockform, die leicht zueinander versetzt auch Terrassen und Aussichtsplattformen bilden. Die Idee hätte eigentlich von Jan sein können: Die Form eines jeden Bausteins des Hauses entspricht der Form des Hauses selber. Aber das ist erst der Anfang: Große Aussparungen werden die Panorama-Glasfront ergeben, wenn das Glas erfunden ist, Aufzüge werden die Ebenen verbinden, sobald Strom erzeugt wird, und zu guter Letzt soll das Gebäude in der Lage sein, seine Form entsprechend der Stimmung seiner Bewohner zu verändern. Alles nur eine Frage der Zeit , sagen sie. Und Zeit haben wir.
    Wie sehe ich aus?, will ich von den beiden wissen, da ich bis jetzt nur mein vom Fluss verzerrtes Spiegelbild kenne.
    Du hast schönes, sonnengebleichtes strubbeliges Haar und lächelst unentwegt, sagt Girl No.1 . Du hast einen süßen Mund. Sie fährt mir über den Handrücken. Du hast sehr weiche Haut, und du riechst sehr gut nach Rosen und Kokosnuss.
    Rosen und Kokosnuss?
    Und du hast lustige Augen. Das eine ist tief und dunkel. Das andere glänzt hell. Wie Yin und Yang. Und du hast eine Badehose an mit Lotusblumen! Sie lacht hell auf, dass es als Echo durch die Welt schallt.
    Ich schaue an mir herunter: Ich trage wirklich plötzlich diese Badehose. Würdet ihr mich auch in der anderen Welt wiedererkennen?, frage ich.
    Ganz, ganz sicher!, sagt Das Tapfere Sniperlein . Egal wo wir wären, wir würden dich wiedererkennen.
    Ich mag den Gedanken und schließe die Augen.
    Drei Grad, Tendenz fallend.
    Wir verbringen viel Zeit in Decken gehüllt. Ich habe mich erkältet, muss andauernd husten. Der Hals ist rau, wenn ich schlucke, brennt es schrecklich. Das Tier wärmt nicht sonderlich, eher noch übertrage ich ihm etwas von meiner verbliebenen Körperwärme. Oder ich fahre schnell über seinen Schuppenpanzer, damit es etwas von der Reibungsenergie spürt. Es rollt mit den Augen. Noch ein gutes Zeichen. Sie wollen mich rausjagen. Sie haben die Heizung abgestellt. Ich lasse mich aber nicht rausjagen. Es ist mein gutes Recht, hier zu sein. Zudem ist es Mutter, die gesagt hat, ich müsse zuerst ein toller Junge werden.
    Ich schüttele die Hand in der Luft wie ein großer Pianist und begebe mich in Welt 0. Beinahe minütlich spawnen Neuankömmlinge unterhalb des Brokkolibaums und recken ihre bloßen