Hilf mir, Jacques Cousteau: Roman (German Edition)
angewinkelten Arm, ohne mal kurz zu unterbrechen, zu erlahmen oder die Schlagrichtung zu ändern. Wenn Dad etwas zu hämmern hat, lässt er sie dagegenstemmen. Sie hält Leitern, auf denen er kippelt und schwankt, und fängt herunterfallende, vom kreischenden Sägeblatt zertrennte Bretter auf. Dabei kneift sie die Augen zu, und wenn ihre Arbeit getan ist, geht sie weg und rüttelt mit dem Finger im Ohr.
Meine Mutter ist praktisch veranlagt, ich nicht. Mein Vater genauso wenig. Er zerlegt zwei Geräte, um sie zu reparieren, und bringt dann die Teile durcheinander. Ich bin noch schlimmer; ich vergesse zu Hause meinen Geldbeutel, steige wieder aus dem Bus, um ihn zu holen, und lasse dabei meine Schulbücher auf dem Sitz liegen. Mum dagegen greift in die Handtasche und zieht alles heraus, was sie braucht: Klebeband, Schraubenzieher, Löffel, Notizzettel, Schere, Kaffee- und Zuckertütchen, Radiergummi, Gummiringe. Mit dem Schraubenzieher hebelt sie die Hintertür auf, weil Dad sie dauernd aussperrt. Auf die Zettel schreibt sie dann bissige Verwünschungen und pappt sie ihm auf die Windschutzscheibe.
Ihre Stimme gleicht so sehr der Stimme in meinem Kopf, dass ich mich nie genau an ihren Klang erinnere. Sie und Dad lesen Andrew beim Schlafengehen abwechselnd vor, wie damals auch mir, als ich klein war. Abends höre ich zu, wie Mum die Geschichte in die Länge dehnt, um Andrew in den Schlaf zu lullen; ihre Person verschwindet hinter den vielen Wäldern, Flussbetten und verschneiten Ebenen, den Hütten und Höhlen, den gemeinen Schwestern, den bösen Hexen und den strahlenden Helden. Sie sitzt kerzengerade neben Andrews Bett auf einem Stuhl, zum Licht hin gebeugt, unbeeindruckt vom Gelesenen; für sich selbst filtert sie aus jeder Geschichte die Dynamik zwischen Mann und Frau heraus, die wunderlichen Lehren, die da vermittelt werden, die kritischen Warnungen, die unausgesprochen bleiben.
Sie sagt zu meinem Vater, »Die kleine Meerjungfrau« sei übelster Blödsinn und »Das hässliche Entlein« etwas für Minderbemittelte. Es sei gemein, hässliche kleine Kinder glauben zu machen, dass sich eines Tages alle Köpfe nach ihnen umdrehen werden, wenn sie in einen Raum treten, dass sich alle um ein Date mit ihnen reißen werden und dass sie schließlich sogar ins Fernsehen kommen werden. Meine Mutter meint, wir müssen alle irgendwann den Tatsachen ins Auge blicken.
Meine Mutter ist die Einzige, die in unserem Haus mit den Türen knallt. Allerdings nicht aus Zorn, sondern nur aus überschüssiger Energie. Wenn sie die Autotür zuschlägt, sind alle taub. Sie schubst mit dem Ellbogen die Kühlschranktür zu, dass drinnen in gedämpftem Protest die Gläser klirren. Sie verlässt das Haus und zieht die Tür so heftig hinter sich zu, dass sie wieder ein paar kleine Splitter vom Rahmen sprengt. Sie segeln durch die Luft und landen auf den Häufchen anderer Splitter. So erwächst der Archäologie ihr Material: Schicht um Schicht sinkt Geschehenes nach unten und überdeckt nach einer Weile das Vorangegangene. Tatsachen werden vergraben.
Zum Beispiel die Tatsache, dass meine Mutter uns verlassen hat, als ich noch sehr klein war. Das hat mir niemand erzählt, aber trotzdem weiß ich davon, hörte durch Wände und Türen stockende Andeutungen, leise Kampfansagen des Mannes an die Frau oder der Frau an den Mann, den ungleichen Dialog zwischen ungleichen Menschen in seiner ganzen Befremdlichkeit. Ich weiß, dass sie eine Woche lang weg war. Ich weiß, dass meine Mutter mit dem Auto davongefahren ist. Ich weiß, dass sie zurückgekommen ist, weil sie ihren Mann vermisste und ohne ihre Kleine nicht leben konnte. Dass sie in einem anderen Auto zurückgekommen ist, nicht in dem weißen, sondern in unserem grünen Valiant.
Ich betrachte im Fotoalbum das einzige Foto von einem weißen Auto. Nur das Heck ist abgelichtet, ein Hund blickt in die Kamera, mein Großvater lacht, und aus dem Nichts greift der lange, braune Arm meiner Mutter ins Bild, greift nach dem Hund. Ich betrachte das Foto wie andere ihre Handlinien und versuche, die verborgenen Zeichen zu entschlüsseln.
In deinem Leben verbirgt sich, unter der Maske des Schlichten, des Angenehmen, stets das Unglück. Das habe ich von meiner Mutter gelernt.
Diesen Winter hatten wir jede Menge unglücksbringende Winterhochzeiten, bei denen die Kälte durch Buntglasfenster und schlecht schließende Türen in die Kirche sickerte und die Brautpaare eilig die Gelübde herunterhaspelten. Eine
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