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Hilf mir, Jacques Cousteau: Roman (German Edition)

Hilf mir, Jacques Cousteau: Roman (German Edition)

Titel: Hilf mir, Jacques Cousteau: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gil Adamson
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sich dann zu uns und machte mit Polterstimme seiner unerklärlichen Begeisterung Luft, die grobschlächtigen Hände auf den Tisch gebreitet wie zwei graue Steaks. Ich dachte, meine Mutter hätte vielleicht Freude an dieser schottischen Hochzeit – schließlich stammt ihre eigene Familie aus den Highlands. Aber ihr war das Ganze zuwider, vor allem die Küsserei und der nach hinten gestreckte Zeh.
    »Heather war in der Schule so eine starke Persönlichkeit«, sagte sie. »Was wird bloß aus den Leuten?«
    Wenn sie »Leute« sagt, meint sie Frauen. Nicht die Sentimentalitäten einer Hochzeit schlagen meiner Mutter aufs Gemüt, sondern das Ritual selbst, sein ungebrochener Optimismus; sie fühlt sich dabei, als wüsste sie als Einzige, dass wir uns alle auf der Titanic befinden. Sie ist abergläubisch, insgeheim, bei allem und jedem. Das Schicksal ist in ihren Augen böswillig, allgegenwärtig, stets auf der Lauer. Aber nicht nur vor dem üblichen Pech hat sie Angst – immer droht noch etwas anderes, Schlimmeres. Da unterscheidet sich meine Mutter von allen ihren Freundinnen.
    Gracey zum Beispiel, die Bibliothekarin, bedauert ausgesprochen, dass noch keine ihrer Töchter alt genug ist, um zu heiraten. Angela und Gina sind acht und zwölf. Aber Gracey plant voraus; sie tendiert bereits stark zu Blau als Farbe für die Brautjungfern.
    »Blau ist ungewöhnlich, ich weiß«, sagt sie zu meiner Mutter, als sie telefonieren, »aber meine Gina mag Blau.«
    »Gina ist doch noch ein Kind«, erwidert meine Mutter. »Sie hat noch nicht einmal ihre Periode.« Andrew, der das Gespräch belauscht hat, wird erst weiß und dann rot.
    Andere Menschen findet meine Mutter befremdlich und oft enttäuschend. Ich versuche, schlau aus ihr zu werden, bemühe mich ernsthaft, sie zu verstehen. Aber genau genommen bleibt sie mir ein Rätsel. Und ich glaube, genau genommen bleibt sie auch meinem Vater ein Rätsel.
    Um Grundlegendes über meine Mutter zu erfahren, braucht man sie nur anzusehen. Sie ist zum Beispiel groß – hochgewachsen, muskulös, stattlich. Sie trägt eine Männerschuhgröße und findet in dieser Größe oft keine Abendschuhe. Dann steht sie bei Partys in Strümpfen da, eine Angewohnheit, die bei den Gästen den falschen Eindruck erweckt, sie gehöre zu den Gastgebern. Sie erhält Komplimente für die Inneneinrichtung des Hauses oder wird gefragt, wo die Toilette ist. Dann sagt meine Mutter mit einem lässigen Winken: »Ach, da drüben.«
    Ihre langen, schlanken Beine scheinen direkt aus dem Boden zu wachsen, aus ihren Füßen nach oben, bis sie sich in ihren Kleidern verlieren. Sie hat Schwierigkeiten, gut sitzende Blusen zu finden.
    »Pygmäenklamotten«, knurrt sie und sieht die Blusen in den Geschäften finster an. »Die würden ja nicht mal Andrew passen.« So erklärt sich vielleicht die Übergröße von Andrews Abendanzug, als sollte ein einziger genügen, bis er alt genug ist, um sich seine Sachen selbst zu kaufen. Meine Mutter kann Wachstum schwer einschätzen, da sie selbst viel zu früh viel zu groß geworden ist. Einmal hat sie mir erzählt, sie sei als Mädchen in einem halben Jahr fast vierzig Zentimeter in die Höhe geschossen; manchmal schrie sie mitten im Unterricht auf und umklammerte ihren Arm oder ihren Oberschenkel, den es von innen zu sprengen schien.
    Ohne Absätze ist sie so groß wie mein Vater, also eins fünfundachtzig. Sie hasst Regentage, weil sie immer die winzigen metallenen Kugelspitzen der Schirme in die Augen bekommt. Wenn sie müde ist, stößt sie sich den Kopf und die Schienbeine an; sie stellt sich auf Verbogenes, um es wieder gerade zu biegen. Wenn sie in der Küche Tomaten schneidet oder Salat zerpflückt, bückt sie sich über die Arbeitsfläche, beugt sich dann seufzend nach hinten und reckt den Hals, dass es knackt. Sie wünscht sich von meinem Vater, dass er ihr die Arbeitsfläche erhöht; aber wann soll er denn, fragt er, sie benutzt die Küche doch ständig.
    Für Kinder dagegen baut Dad alles Mögliche, vor ihren Augen: Strickleitern, Holzschwerter und Schilde. Die ganze Straße rauf und runter besitzen Kinder von meinem Vater angefertigte Bumerangs aus Sperrholz, deren abgewinkelte Flächen sorgfältig geschliffen und geformt sind.
    Von meiner Mutter weiß ich außerdem, dass sie viel Kraft hat. Ich gebe ihr ein Glas Spaghettisauce zum Aufmachen, knack , ist es offen. Wenn sie Kuchen bäckt, klemmt sie die Teigschüssel in die Armbeuge und schlägt den Teig mit dem Kochlöffel im

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