Hilf mir, Jacques Cousteau: Roman (German Edition)
Sämtliche Details bleiben mir im Gedächtnis: Elvis, JFK, Jackie Onassis, Wanderpalmen, Blutbäder, Satan, Babys, die es gar nicht geben kann. Gegen die Sehnsucht, das alles möge wahr sein, lässt sich schwer ankämpfen. Ich ziehe mir eigens für naive Gemüter wie mich gedrehte Filme rein, und der Mund steht mir offen: Der Exorzist, Rosemarys Baby . Sie dringen in meine Träume ein, zu einem surrealen Durcheinander verwoben, und wenn ich aufwache, habe ich das Bedürfnis, mich nach Wundmalen und Zeichen abzusuchen. Der gute Kirk kämpft im Vorhof der Zeiten gegen den bösen Kirk. Körperfresser wachsen im Kürbisfeld. Der Supercomputer Hal 9000 kann lippenlesen.
Und mein Großvater kann mir erzählen, dass er letzte Nacht im See geschwommen ist – und ihm glaube ich kein Wort.
Ich zwinge Andrew, nachts wach zu bleiben, und leuchte ihm mit der Lampe ins Gesicht, damit er nicht zu reden aufhört. Mein Bruder nimmt die Familiengeschichte so hin, wie Großvater sie darstellt, das Bild von uns, das er malt, die Dinge, die er hartnäckig für wahr, gesichert und echt erklärt. Das alles anzuzweifeln ist für Andrew dasselbe, wie sich zu fragen, ob der Hund beißt. Klar beißt er.
Eines Abends ruft Dad von irgendwo aus dem Norden an, mit dünner, erschöpfter Stimme. Meine Mutter sitzt auf der anderen Seite der Schnellstraße in einem Café, sagt er, deshalb reden wir nur mit ihm. Ich höre im Hintergrund Lastwagen vorbeibrausen. Meine Großmutter übernimmt den Hörer. Dads Stimme klingt nun wie eine Mücke, aber ich verstehe jedes Wort. Dad nennt seine Mutter »Mutter« und seinen Vater »Vater«. Er dankt ihnen, dass sie sich um Andrew und mich kümmern, und fragt, ob wir uns anständig benehmen. Als das Gespräch zu Ende ist, geht Andrew in sein Zimmer, macht die Tür zu und starrt mit leerem Blick in ein Comic-Heft. Ich gehe hinaus.
Die nächsten Nächte träume ich von Lastwagen, und dass ich mit einem riesigen Laster durch das Dunkel fahre; das Steuer spielt in meinen Händen verrückt, der Lastzug gerät ins Schleudern, knapp an Bäumen vorbei. Wenn Andrew und ich morgens aufwachen, geht es uns ganz ähnlich: Ein, zwei Sekunden vergehen, bis wir merken, dass wir immer noch in unserem Leben gefangen sind.
Damit meine Großmutter etwas zu tun hat, versucht sie mir ein paar nützliche Dinge beizubringen, zum Beispiel Kochen und das Nähen mit der Nähmaschine. Letzten Sommer war es Stricken, das zu dem wenigen gehört, was sie selbst nicht gut kann. Ich habe mich begeistert daraufgestürzt, als wäre es etwas Verbotenes, und habe jedem zu Weihnachten etwas Irres gestrickt. Meine Mutter hat ein ärmelloses Top aus Wurstgarn bekommen, Jeannie, meine beste Freundin, wollene Boxershorts mit einem Muster, in das ich Lamettafäden und Kastanien eingestrickt habe. Jeannie hat sie an die Wand gehängt, und ihre Mutter hat mich für verrückt erklärt.
Diese anarchische Produktion war nicht, was meine Großmutter sich vorgestellt hatte. Deshalb versucht sie es jetzt mit Nähen. Aber ich verknäule den Nähfaden zu Bömmelchen und fasse mit der Nadel meine Fingerkuppe mit. Wie vorauszusehen, stelle ich mich in der Küche nicht viel besser an.
Mein Großvater liest Zeitung und beklagt sich, dass Andrew nicht mehr klein genug ist, um auf seinem Knie zu sitzen. Er tut, als würde Andrew mit Absicht wachsen. Gelegentlich drängt er ihn dazu, es noch einmal zu versuchen, und macht dann ein großes Geschrei, dass mein Bruder ihm mit seinem Gewicht fast das Bein gebrochen hätte.
Vor der Ankunft meiner Großeltern habe ich alle meine Gedichte, Notizbücher und alten Kinderzeichnungen – Bilder von anderen Planeten – zusammengesucht und hinter dem Ofen versteckt. Ich dachte, so wäre ich vor Großvaters Spott sicher. Aber als er am ersten Vormittag herunterkam, baumelte in seiner Hand einer meiner Ohrringe, den er auf meiner Frisierkommode gefunden hatte – ein silbernes Fischskelett. Er versprach mir, er würde sich für mich auf die Suche nach einer toten Katze machen, die ich dann als Halskette tragen könnte. Der Ohrring ist weg, vielleicht hat er ihn in den Müll geworfen: ein Zehner den Gully runter. Das stinkt mir manchmal, wenn ich mir die Scheußlichkeiten ansehe, die er selber trägt.
Jetzt ist Andrew mit einer Bande kleiner Jungs draußen. Sie mischen Backnatron mit Essig und lassen damit den Plastikdeckel eines Joghurtbechers hochgehen. Der kleinste Junge steht mit der Sandale auf dem Deckel, und alle
Weitere Kostenlose Bücher